Am Freitag, den 23. August 2024, gegen 21:30 Uhr starben drei Menschen bei dem Messerangriff auf einem Stadtfest mit dem Motto: „Fest der Vielfalt“ in Solingen. Zehn weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Der geständige Angeklagte Issa Al H. muss sich dafür vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht verantworten.
Am 16. Prozesstag schließt der Richter die Beweisaufnahme. Die Bundesanwaltschaft und die Nebenklagevertreter tragen ihre Plädoyers vor.
Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft
Staatsanwältin Antje Groenewald trägt als Vertreterin der Bundesanwaltschaft das etwas über zwei Stunden dauernde Plädoyer vor.
Es geht um
- 3-fachen Mord
§ 211 StGB (Mord)
Ein Tötungsdelikt ist Mord, wenn der Täter einen Menschen vorsätzlich tötet und dabei mindestens eines der folgenden Merkmale erfüllt:
Niedrige Beweggründe, Heimtücke, Grausamkeit, gemeingefährliche Mittel, zur Verdeckung einer Straftat oder zur Ermöglichung einer Straftat - 10-fachen versuchten Mord
§ 211 StGB (Mord),
§ 23 StGB (Strafbarkeit des Versuchs) - Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland
§ 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen)
§ 129b Abs. 1 und 2 StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland) - 8 x gefährliche Körperverletzung
§ 224 Abs. 1 S. 2 StGB (Gefährliche Körperverletzung),
§ 23 StGB (Strafbarkeit des Versuchs) - 1 x schwere Körperverletzung
§ 226 Abs. 1 S. 2 StGB (Schwere Körperverletzung)
Es geht hier um Bärbel V., die heute im Gerichtssaal anwesend ist. Sie hat die Funktionsfähigkeit ihres Arms verloren sowie Einschränkungen beim Sprechen. - § 52 Abs. 2 StGB (Tateinheit)
- § 53 StGB (Tatmehrheit)
Die Staatsanwaltschaft geht wohl in Bezug auf die Morde und Mordversuche von Tatmehrheit aus. Es sei nicht so wie bei einem Sprengstoffanschlag. Es handele sich auch nicht um ein Dauerdelikt erklärt die Staatsanwältin. - § 54 Abs. 1 StGB (Bildung der Gesamtstrafe)
- § 57a StGB (Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe)
Die besondere Schwere der Schuld würde eine Aussetzung des Strafarrests verhindern. - § 66 StGB Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Die Sicherungsverwahrung wird angeordnet, wenn jemand wegen bestimmter vorsätzlicher Straftaten (z. B. gegen Leben, körperliche Unversehrtheit) mindestens zweimal verurteilt wurde und eine Wiederholungsgefahr besteht.
Die Beweiswürdigung
Die Staatsanwältin legt dar, warum die Staatsanwaltschaft glaubt, dass es sich bei der Tat um eine geplante Tat des Angeklagten handele und nicht etwa um einer Übersprungreaktion, wie es der Angeklagte zunächst dem Gericht habe glauben machen wollen.
Auch die Nebenklagevertreter gehen davon aus die Hauptverhandlung habe den Tatvorwurf vollumfänglich bestätigt.
Bei seinem [rudimentären] Geständnis [am ersten Prozesstag] und zuvor bei der Exploration durch den psychologischen Gutachter hat der Angeklagte angegeben Gehirngewaschen gewesen zu sein. Seine Chatpartner hätten ihn reingelegt. Erst spät im Prozessverlauf [speziell durch seine etwas umfangreicheren Einlassungen am 14. Prozesstag] habe der Angeklagte sein wahres Gesicht gezeigt erklärt die Staatsanwältin. Er habe Rache für die Kinder in Palästina nehmen wollen. Während in Palästina Kinder bombardiert würden, würde hier getanzt. Das sei nicht in Ordnung. Seine Tat sei kein Terrorismus, das sei eine „Reaktion“. So hat der Angeklagte seine Motivation für die Tat angegeben.
Der Versuch sich als Opfer der Manipulationen seines Telegram-Chatpartners darzustellen, sei widerlegt erklärt die Staatsanwältin. Die Staatsanwältin hält in ihrem Plädoyer dem Angeklagten seine Eigeninitiative und die genaue und umfangreiche Planung der Tatausführung entgegen. Er habe die Tat angekündigt. Er habe vier Videos dazu gedreht und ein Foto mit Tauhid Finger aufgenommen. Ihm habe daran gelegen, dass der IS diese Medien verbreitet. Er habe dem IS den Treueschwur geleistet. Die Tat sei eine intrinsische Entscheidung des Angeklagten gewesen. Der Angeklagte habe den Wunsch gehabt in den IS aufgenommen zu werden und die Einbindung aktiv betrieben. Als Mitglied des IS ginge der Wunsch einher Zugang zum Paradies zu erhalten.
Die Staatsanwältin spricht von einem planvollen und konspirativen Vorgehen. Er habe in einem Chat handschriftlich einen Text auf ein Bild geschrieben, so dass es nicht durch Nachrichtendienste automatisch mitgelesen werden könne. Er habe nach der Tat das Xiaomi Handy zerstört und das Samsung Handy vergraben. Der Angeklagte habe sich seit 2019 über das Internet radikalisiert. Seit Januar 2024 habe er auch selbst Videos veröffentlicht. In den ausgewerteten Chatverläufen habe er seine islamistische Einstellung gezeigt. So habe er „wir“ in Bezug auf den IS benutzt und sei mit den Gepflogenheiten des IS vertraut. Dies äußere sich in der Verwendung IS spezifischen Vokabulars. Er habe nicht ausgeschlossen, dass er nach der Tat nicht mehr lebe. „Kurz und scharf sollte es sein“, das Messer. Während der Tat habe er wiederholt Allahu Akbar gerufen.
Nach dem psychologischen Gutachten habe der Angeklagte einen Hang zu Gewalt. Die Auslöser seien mannigfaltig. Er sei von Gewalt fasziniert. Der Angeklagte sei für die Allgemeinheit gefährlich. An ernsthafter Reue fehle es. Er prophezeie weitere Anschläge und habe verzerrte Moralvorstellungen.
Zudem bescheinigte psychologische Gutachter Fuß dem nicht vorbestraften Angeklagten eine hohe Rückfallgefahr. Zum eigentlich mittleren Rückfallrisiko des Syrers komme seine Radikalisierung, seine Empathielosigkeit und seine Faszination für Gewalt.
Die niedrigen Beweggründe
Ein politisches Motiv ist nicht allein deshalb als ein niedriger Beweggrund anzusehen, weil es ein politisches Motiv ist. Vielmehr sind die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Die zufällige, unterschiedslose und deshalb willkürliche Auswahl von unbeteiligten Menschen als Opfer rechtfertigt die Einstufung der Motivation als „niedrig“.
„Was können die Menschen auf dem Stadtfest dafür?“ fragt Nebenklägervertreter Athanasios Antonakis.
Die Heimtücke
Heimtücke ist eines der Mordmerkmale des § 211 StGB (Mord). Heimtücke liegt vor, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Bis auf den Fall von Robert K., der sich gegen den Messerangreifer gestellt und damit wohl weitere Angriffe verhindert hat, sieht die Staatsanwältin Antje Groenewald das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt an.
Das spiegelt sich in ihren Aussagen „Nichts ahnend …“, „… versah sich keines Angriffs …“, „arglose Geschädigte“, „das versteckt gehaltene Messer“. Zu keiner Zeit sei ein Angriff rechtzeitig wahrzunehmen gewesen. Der Angeklagte habe sich die Wehrlosigkeit der Opfer planvoll zunutze gemacht.
Auch die Nebenklagevertreter gehen von Heimtücke aus. Simon Rampp trägt dazu vor der Angeklagte habe 13 friedlich feiernde Besucher des Festivals der Vielfalt im Dunkeln und von hinten mit einem Messer angegriffen. Mehr Heimtücke gehe nicht. „Hier kam der Angriff aus dem Nichts!“. Insbesondere für die Veranstaltungstechnikerin Lea V., die mit geschlossenen Augen vor der Bühne stand und der Musik lauschte, war der Angriff nicht zu erkennen.
Die Strafzumessungserwägungen
Die Staatsanwältin nimmt eine Strafzumessungserwägung gemäß § 46 StGB (Grundsätze der Strafzumessung) vor.
Die Staatsanwaltschaft wertete das [rudimentäre] Geständnis des Angeklagten als positiv, ebenso dass der Angeklagte nicht vorbestraft sei [Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten ist ohne Eintragungen.]
Negativ bewertet sie
- dass es sich um Mord handelt
- dass die Verletzungen konkret lebensbedrohlich bzw. abstrakt lebensbedrohlich gewesen seien
- Es sei eher Zufall gewesen, dass einige Opfer überlebt hätten
- die Gesinnung des Angeklagten
- die erhebliche kriminelle Energie
- die Verschleierung der Tat
Es habe sich um einen der schwersten politisch-religiös motivierten Anschläge der vergangenen Jahre in der Bundesrepublik gehandelt, erklärt die Staatsanwältin.
Die Anträge der Staatsanwaltschaft
Am Ende beantragt die Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft
- den Angeklagten wegen 3-fachen Mordes, 10-fachen versuchten Mordes, 8-facher gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen.
- eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen.
- die besondere Schwere der Schuld festzustellen.
- den Angeklagten anschließend in Sicherungsverwahrung zu nehmen.
- dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und Haftfortdauer anzuordnen.
- die Einziehung der Tatmittel (Telefon, …)
Die Anträge der Nebenkläger
Die Nebenkläger schließen sich den Anträgen der Staatsanwaltschaft an und beantragen ein Schmerzensgeld dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts stellen. Seine Mandanten seien sich bewusst, dass sie das Geld nicht sähen, erklärt Simon Rampp dazu. Terror dürfe sich nicht lohnen.
Die Nebenklagevertreter betonen die teils tiefgreifenden Auswirkungen auf das Leben der Opfer, aber auch die Auswirkungen darüber hinaus. Er habe das Leid der Kinder in Palästina rächen wollen. „Hier wurde kein Leid beendet, hier wurde neues Leid geschaffen.“
„Die Strafe steht im Gesetz!“
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Quelle
Der Autor im Gerichtssaal.




