Auch am 15. Prozesstag um Mouhamed Dramé war das Interesse nicht so groß wie an vorhergehenden Terminen. Die Reihen im Saal 130 des Landgerichts Dortmund waren wieder nicht voll besetzt.
Zu Beginn der Sitzung war der Richter „not amused“ darüber, dass die Nebenkläger, die Brüder von Mouhamed, wohl die Anklagebank gefilmt hätten. Die Videos seien gelöscht worden. Der Richter bat die Übersetzer explizit zu übersetzen, dass das Filmen im Gerichtssaal nicht erlaubt sei. Der Richter wandte sich auch an die Anwältin der Nebenklage, um sicherzustellen, dass sich das nicht wiederholt und die Aufnahmen nicht doch noch in sozialen Medien erscheinen. Die Anwältin der Nebenklage gab zu bedenken, dass die Brüder von Mouhamed zum ersten mal vor einem deutschen Gericht stünden.
Danach gab der Richter dem Publikum zu verstehen, dass das Publikum kein Rederecht in der Verhandlung habe. Beim letzten Termin hatte es während der Verhandlung leichte „Störungen“ gegeben. Besonders eklatant war aber ein Zwischenruf nach dem offiziellen Ende der Verhandlung der sich an einen der Verteidiger richtete. Das Verhalten sei respektlos erklärte der Richter. Was das Publikum dürfe, könne man im GVG nachlesen.
Die Angeklagte
Die eigentliche Verhandlung beginnt dann mit der Einlassung der Polizistin, die einen der Taser gegen Mouhamed Dramè eingesetzt hat. Es gibt einige Angaben zur Person. Die Polizistin begann 2014 ein Duales Studium, welches sie 2019 beendete. Seitdem arbeitet sie in der Polizeiwache Nord mit dem ebenfalls angeklagten Dienstgruppenleiter. Die folgende Schilderung der Geschehnisse deckt sich im Wesentlichen mit den bisher bekannten Aussagen, so dass wir hier nur die Aussagen wiedergeben, die einen gewissen Erkenntnisgewinn bieten.
Die Angeklagte hält das Mitführen von MP5 und Pfefferspray nicht für ungewöhnlich. MP5 und Pfefferspray gehören nicht zur Mannausstattung und müssen extra aufgerüstet werden. „Es ging ja nicht darum die MP wirklich einzusetzen“.
Sie habe sich hinter den Smart gestellt. Dort habe sie noch etwas „Schutz“ gehabt. „Ich konnte nicht ausschließen, dass ich verletzt werde.“
Sie hat den Taser aus dem Holster genommen und das Visier auf die entsprechende Entfernung eingestellt. Es wird wohl noch ein Gutachten zum Taser und dessen Einsatz geben.
Sie habe dem Einsatzleiter mitgeteilt, dass sie in einer guten Position sei, Mouhamed zu tasern. Der Einsatzleiter habe das Tasern aber abgelehnt. „Nein wir setzen Pfefferspray ein“. An die Begründung Mouhamed könnte beim Einsatz des Tasers ins Messer fallen, habe die Angeklagte keine Erinnerung. „Man vertraut auf die Erfahrung des Dienstgruppenleiters.“, „Alle Anweisungen kamen vom Einsatzleiter.“
Mouhamed sei plötzlich aufgesprungen und leicht gebückt nach vorne gestürmt. Die Messerhaltung habe sie nicht gesehen. Als Mouhamed losgelaufen sei, habe sie nur gedacht „Sch…“. Der Staatsanwalt hakt nach. Was meinen sie mit „Sch…“. „Ich muss handeln“ erwidert die Angeklagte.
Die Angeklagte habe die Wirkung des Tasers nicht wahrgenommen, da kurz darauf auch schon die Schüsse fielen.
Die Nebenklage versucht, wie immer, etwas „Skandalöses“ aufzudecken.
Die Angeklagte war Tutorin für einen Azubi, der auch bei dem Einsatz mit dabei war. Die Anwältin der Nebenklage unterstellt, dass es doch wohl wichtig und notwendig sei, die Einsatztaktik mit dem Azubi zu besprechen. Die Angeklagte gibt dazu an, die Einsatztaktik nicht mit dem Azubi nachbereitet zu haben. So einen Einsatz zu analysieren, sah die Angeklagte wohl nicht als ihre Aufgabe an. Sie verweist auf die Ausbildungsleitung. Zudem gäbe es kein Allheilmittel. Es erscheint uns zumindest schlüssig die Nachbereitung so eines Einsatzes mit der Ausbildungsleitung abzustimmen.
Die Angeklagte bestätigte der Anwältin der Nebenklage eine enge Beziehung zu einem der zuvor vernommenen Zeugen, einem Polizisten, gehabt zu haben. Die Angeklagte fragte, was das mit dem Prozess zu tun habe. Die Anwältin wollte wohl die Glaubwürdigkeit des Zeugen erschüttern. Der Zeuge hatte die Beziehung in seiner Vernehmung vor Gericht nicht zugegeben. Aus unserer Sicht mag es möglicherweise auch außerhalb der prozessualen Sphäre liegende Gründe geben eine Beziehung nicht öffentlich zuzugeben. Die Angeklagte konnte sich das jedenfalls nicht erklären.
Die Anwältin der Nebenklage wollte von der Angeklagten wissen, warum man denn die sogenannten 7-Meter Regel missachtet habe. Die Regel besagt, dass man einer Person mit einem Messer nicht näher als sieben Meter kommen sollte, weil man sonst in Gefahr sei. Die Angeklagte erwiderte, dass man in erster Linie daran interessiert war die Gefahr von Mouhamed abzuwenden und deshalb wohl die besagte Regel gebrochen hat.
Auch Chat-Protokolle werden der Angeklagten, wie anderen Angeklagten zuvor, vorgehalten. Wobei die Angeklagte schon angegeben hatte, dass man schon das Bedürfnis hatte über den Fall zu reden. Wir konnten darin jedenfalls nichts „Skandalöses“ entdecken. Es ging um Zweifel, ob man nicht doch hätte etwas anders machen können, die im Chat andeutungsweise auftauchen, oder um allgemeine Hinweise, die die Angeklagte dem ihr zugeteilten Azubi zur anstehenden Zeugenvernehmung gegeben hat und die jeder Polizist kennen sollte.
Die Zeugin
Danach wird die Polizistin der Polizeiwache Nord vernommen, die in der Nacht in der Mouhamed auf der Wache Hilfe suchend erschienen war, Dienst hatte. Sie erklärt, dass Mouhamed kein Deutsch konnte, nur etwas Spanisch. Sie habe einen Kollegen, der Spanisch spricht, kontaktiert. Dieser habe per Telefon als Übersetzer fungiert. Nachdem klar war, dass Mouhamed Suizidgedanken hegte, habe sie ihn mit einem RTW in die LWL-Klinik nach Aplerbeck bringen lassen. Mouhamed soll sich etwa eine halbe Stunde auf der Wache befunden haben.
Wie geht es weiter
Es werden unter anderem noch Gutachter gehört. In Bezug auf die Einsatztaktik will das Gericht Mitarbeiter des Landesamts für Ausbildung und Fortbildung der Polizei (LAFP) aus Selm laden. Termine sind noch bis in den September hinein geplant.
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