Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Hattingen wegen Verstoß gegen § 86a StGB zu 90 Tagessätzen a 10EUR verurteilt worden. Der Angeklagte soll 2024 auf einer Montagsdemo in Hattingen als Ordner mitgelaufen sein und auf der Demo den Hitlergruß gezeigt haben. Neben Videos und Fotos von der Demo gibt es von dem Tatgeschehen selbst ein Video, dass ein Zeuge, der in der Berufungsverhandlung gehört wird, aufgenommen hat. Der Angeklagte hatte den Zeugen wegen Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz durch Verbreitung dieses Videos angezeigt, wie der WDR berichtete. In dem Verfahren dazu ist der Zeuge freigesprochen worden.
Die Verhandlung vor dem Landgericht Essen beginnt etwas verspätet gegen 10:30 Uhr und dauert inklusiver kurzer Unterbrechungen etwas mehr als 7 Stunden, so dass ich nicht den kompletten Prozessverlauf wiedergeben möchte. Insbesondere die Vernehmung der zwei geladenen Zeugen zieht sich in die Länge.
Zeuge 1 (Belastungszeuge)
Als erstes wird der 26-jährige Zeuge gehört, der durch sein Video das Verfahren in Gang gebracht hat. Der Zeuge wird wohl im Hinblick auf das Verfahren gegen ihn gemäß § 55 StPO belehrt, dass er sich nicht selbst belasten muss. Er erklärt als Teilnehmer auf der Gegendemo gewesen zu sein. Er habe den Angeklagten zweimal eine verdächtige Geste machen sehen und danach seine Kamera eingeschaltet, [die dann das mögliche Tatgeschehen aufgenommen hat.]
Die Namen weiterer Zeugen, die auch Beobachtungen gemacht haben könnten, möchte oder kann der Zeuge nicht angeben. Von einem Aktivisten aus der linken Szene kenne er nicht einmal den Vornamen. Das sei üblich. „Als Aktivist gibt man seinen Namen nicht Preis.“ Der Richter erklärt, dass es nicht in Entscheidung des Zeugen liege die Daten weitere Zeugen zu benennen. Die intensive Befragung zieht sich in die Länge. Ein weiterer Zeuge könnte eine jüngere Person von einem lokalen Medium sein, so der Zeuge.
Es geht weiter um Veröffentlichungen, die der Zeuge auf sozialen Medien vorgenommen hat. Hier erklärt der Zeuge, dass er das Video für Social Media verlangsamt habe. Das führt wiederum zu einer intensiven Befragung, ob er das Video, dass er der Polizei zur Verfügung gestellt hat, von ihm bearbeitet wurde und wie er das Video ohne PC von seinem Handy auf einen USB-Stick bekommen hat. Ebenso wird Thema, dass der Zeuge wohl nur den kurzen Ausschnitt mit der potenziellen Tat bei der Polizei eingereicht hat und nicht alle Aufnahmen, die er während der Demo gefertigt hat. Der Zeuge gibt an den Ausschnitt der Polizei und der Presse zur Verfügung gestellt zu haben.
Der Verteidiger unterstellt dem Zeugen wohl einen gewissen Belastungseifer und versucht das durch die Befragung zu belegen. Insbesondere möchte er wissen, ob der Zeuge den Angeklagten vor der Tat angesprochen [provoziert] habe und ob er nach Verstößen suche. Auch der Richter hatte zuvor schon versucht die Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen zu klären.
[Durch die eher zurückhaltenden und teils zögerlichen Aussagen des Zeugen hat sich die Vernehmung doch sehr in die Länge gezogen.]
Zeuge 2 (Entlastungszeuge)
Der zweite Zeuge soll ein Entlastungszeuge für den Angeklagten sein. Diesen Zeugen will der Angeklagte gegrüßt haben, als der während der Demo am Fenster stand. Hier versucht der Richter die Beziehung des Zeugen zu dem Angeklagten zu klären. Der Zeuge gibt an von seinem Fenster die Demo beobachtet zu haben und dem Angeklagten zugewunken zu haben. Es sei ein Montag gewesen.
Es wird ein Video in Augenschein genommen, wo nach vorläufiger Bewertung des Richters der Angeklagte schon an der Stelle vorbei ist, wo er den Zeugen hätte grüßen können. Auch werden Ausschnitte aus Videos in Augenschein genommen, die der Angeklagte selbst angefertigt hat. Die Staatsanwältin befragt den Zeugen zum konkreten Termin, eine Woche davor und danach. Es handle sich möglicherweise um eine von vielen Erinnerungen.
Nachdem der Richter die Vernehmung des Zeugen bereits abbrechen wollte, und weiteren detaillierten Befragungen erklärt der Richter dem Zeugen „Ich könnte mir gleich überlegen, dass ich die Aussage wörtlich protokolliere! Das haut hinten und vorne nicht hin.“ Am Ende erklärt der Zeuge „Ich kann mich an garnichts mehr erinnern.“
Die Verteidigung
Der Verteidiger führt an, dass der Angeklagte niemals zuvor wegen einer ähnlichen Straftat verurteilt worden sei. Das entspräche nicht seiner Gesinnung. Der Zeuge [1] habe direkt nach einem Fehler des Angeklagten gesucht. Der Angeklagte habe einen Freund gegrüßt. Der Angeklagte habe eine Erkrankung, die erst kürzlich diagnostiziert worden sei. Diese könne sich auf die Bewegungen des Angeklagten auswirken. Die Krankheit bedinge motorische Störungen. Auf den Einwurf der Staatsanwältin, dass sie keine solche motorischen Störungen habe erkennen können, erklärt der Verteidiger die Erkrankung träte in Schüben auf. An dem besagten Tag habe der Mandant einen Tremor gehabt. Zudem erklärt der Verteidiger sein Mandant habe eine blöde Art zu grüßen. Auch zeige das Video den Angeklagten aus einer ungünstigen Perspektive. Es sei eine Frage der Perspektive.
Die vorläufige Bewertung
Nach der Aussage des zweiten Zeugen gibt der Richter eine vorläufige Bewertung ab.
Man sehe „Arm runter, Arm rauf!“. Es gehe nicht um eine rechte Gesinnung. Das man den Hitlergruß nicht zeige, wisse jeder der eine Schule besucht habe. Ein Attest über die Erkrankung des Angeklagten liege nicht vor. Und es gäbe einen Zeugen, der sich sehr unwohl fühlt.
Der Angeklagte
Immer wieder fällt der Angeklagte durch seine emotionalen Äußerungen, [die für seine Verteidigung nicht unbedingt hilfreich sind], auf. Der Richter zieht wohl die Möglichkeit in Betracht ein Ordnungsgeld zu verhängen.
Insbesondere fand der Angeklagte die Vernehmung des Entlastungszeugen nicht fair. Der sei suchtkrank, erklärt er.
Weitere Einwürfe, die der Angeklagte teils sichtlich erregt, eingeworfen hat:
- „Ich glaube das Urteil ist gefällt.“
- „Machen Sie ein Urteil!“
- „Hier ist das Urteil schon gefällt!“
- „Habe ich nicht gemacht! Ich bin unschuldig!“
- „Ich habe keinen Hitlergruß gemacht!
- „Ich grüße immer so. Ich sage die Wahrheit.“
Der Angeklagte erklärt, dass er durch alle Instanzen gehen wolle und er die Kosten für ein medizinisches Gutachten in Kauf nähme. [Der Angeklagte lebt nach eigenen Angaben von staatlichen Transferleistungen.]
Die Beweisanträge
Der Verteidiger stellt am Ende 3 Beweisanträge.
- Zu dem pathologischen Zustand des Angeklagten am Tag der Demo soll ein Sachverständiger gehört werden.
- Es soll ein Zeuge von einem lokalen Medium gehört werden.
- Es soll ein Zeuge vom WDR gehört werden.
Der Richter fragt den Angeklagten noch ob er im Fall einer Begutachtung die Ärzte von ärztlicher Schweigepflicht entbinden würde, was der Angeklagte bejaht.
Die Staatsanwältin beantragt in ihrer Stellungnahme die Beweisanträge abzuweisen.
Zu 1: In Bezug auf den Tatzeitpunkt könne ein Gutachten keine Hinweise geben und aus dem Videomaterial ergäben sich keine Hinweise auf eine Erkrankung.
Zu 2+3: Der Antrag sei ins Blaue hinein. In der Sache seien die Zeugen unerheblich. Sie könnten nur andere Handlungen beobachtet haben.
Der Beschluss
Nach einer Pause erklärt der Richter, dass er die Beweisanträge so wie sie formuliert seien ablehnen müsste. [Es geht wohl darum, dass die Anträge eher Beweisermittlungsanträge sind als Beweisanträge. Bei einem Beweisantrag geht es um die Aufnahme eines konkreten Beweismittels, bei einem Beweisermittlungsantrag darum Ermittlungen zur Beweiserhebung durchzuführen. Hier sind die Zeugen noch nicht bekannt und müssen erst ermittelt werden!]
Für ein medizinisches Gutachten sähe das Gericht der Zeit keine Anknüpfungspunkte. Der Antrag werde abgewiesen. Der Verteidiger könne aber noch „nachlegen“.
Die möglichen Zeugen möchte das Gericht ermitteln lassen.
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Quelle
Der Autor im Gerichtssaal.





