OLG Düsseldorf – Messerangriff von Solingen 2. Prozesstag

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Am 2. Prozesstag in dem Prozess um den Messerangriff von Solingen wird ein 32-jähriger Polizist gehört, der den zusammenfassenden Zwischenbericht vom 30.11.2024 in die Verhandlung einführt. Der Weg des Angeklagten insbesondere am Tattag wurde wohl minutiös nachgezeichnet und in einem einzelnen Video zusammengestellt. Der Polizist erklärt das Video sei ein Zusammenschnitt aller durch die Polizei ermittelten Bild- und Videodateien. Relevante Stellen seien hervorgehoben worden. „Ein Puzzle“, so der Polizist. Ich gebe hier nur ausgewählte Inhalte wieder. Einige Videos sind wohl Überwachungsvideos aus Ladenlokalen, wo erst ein vergrößerter Ausschnitt den Angeklagten zeigen soll.

Der Zusammenschnitt der Videos

Der Richter möchte das Video durch schrittweises Abspielen in Augenschein nehmen. Das Video gliedert sich in drei große Bereiche erklärt der Polizist, die Vortatphase (03:15 – 21:33 Uhr), die Tatphase (21:37 Uhr) und die Nachtatphase.

Die Vortatphase

  • 03:15 Uhr: Es beginnt mit einem Bekennervideo, das wohl im Keller eines Kebap-Hauses gedreht wurde. Dies sei durch Vergleich der Darstellung des Raumes im Video mit dem tatsächlichen Ort erkennbar. Das Video zeigt eine mit Geschirrtüchern vermummte Person mit Zeigefinger und Dönermesser. [Es wurde am ersten Prozesstag bereits als einzelnes Video in Augenschein genommen.]

  • 04:41 Uhr: Ein Foto oder Video vom Fronhof. Das decke sich mit dem Heimweg des Angeklagten. Es zeigt die Bühne am Fronhof. Der Polizist wertet das wohl als Teil der Vorbereitung der Tat.
  • 16:29 Uhr: Ein Überwachungsvideo aus dem Laden, wo der Angeklagte das Tatmesser gekauft haben soll.

    Der Richter versucht vom Angeklagten eine Einlassung zu bekommen. Der Angeklagte „Ich kann nicht schauen.“. Die Frage des Richters „Erkennt er sich wieder?“ wird vom Verteidiger abgewehrt. „Ich bitte Sie das nicht zu tun. Er möchte sich nicht äußern. Es fällt ihm schwer nein zu sagen.“ Der Richter erklärt dazu, dass der Angeklagte nur die Möglichkeit haben müsse sich zu äußern. Das sei seine Entscheidung. „Da kann ich ihn nicht zwingen.“.

    Der Polizist erläutert weiter das Video, wo der Angeklagte nun einen Messerblock, ein Ausstellungsstück, begutachtet. Der Angeklagte sucht weiter nach einer Käsereibe. Er geht mit dem Messer zur Kasse und möchte wohl das einzelne Messer kaufen. Er nutzt dabei eine Übersetzer-App auf einem Samsung S23 Handy, wie der Polizist auf Nachfrage erklärt. [Hintergrund ist, dass der Angeklagte wohl zwei Handys besaß.] Die Selfie-Kamera sei aktiv gewesen. Schließlich kauft er einen Messerblock, deren Verpackung später beim ihm gefunden wurde. „Er hat auch noch eine Bratpfanne in der Hand. Die kauft er auch.“. Auf Nachfrage erklärt der Polizist, dass der Angeklagte die Mütze, die er im Laden trägt, den ganzen Tag getragen habe. Die Kopfhörer, die der Angeklagte im Ohr habe, seien mit dem Samsung S23 gekoppelt gewesen.

  • 17:24 Uhr: Ein weiteres Bekennervideo sei an der Görderler Straße aufgenommen worden. Der Angeklagte habe die Kleidung gewechselt, bemerkt der Polizist.

  • 18:02 Uhr: Der Angeklagte habe über Telegram ein Video mit Bezug zur Veranstaltung versendet.

  • 18:53 Uhr: Der Angeklagte habe über Telegram ein Video mit Bezug zur Veranstaltung versendet. Der Chat-Partner fragt, ob er die töten wird.

  • 19:08 Uhr: Der Angeklagte soll im Chat ein Glaubensbekenntnis abgegeben haben. „Betet für mich als Rächer.“ Ein Selfie wird dazu in Augenschein genommen.

  • 21:19 Uhr: Ein Bekennervideo, aufgenommen in der Unterführung Görderler Straße.
  • 21:24 Uhr: Ein Bekennervideo

  • 21:27 Uhr: Der Angeklagte versendet die Bekennervideos

Der Verteidiger hat noch eine Nachfrage bezüglich des „Notrufgeschehens“. Der Polizist gibt an, dass der Notruf nicht durch das Samsung S23 ausgelöst worden sei, sondern wohl durch ein zweites Handy [Xiaomi 10], dass zerstört aufgefunden wurde.

Bevor es mit der Tatphase weitergeht, wendet sich der Richter an den Angeklagten. „Sie haben nach Bildern gefragt. Es gibt die Möglichkeit was zu sehen.“.

Die Tatphase

Die Tat, bei der der Angeklagte 3 Menschen getötet und 10 weitere schwer verletzt haben soll, dauert nur etwa eine Minute. Es gibt insgesamt 4 Videos und weitere Bilder von der Tat. Nachdem der Richter den Saal abgedunkelt hat, wird der Zusammenschnitt davon in Augenschein genommen. Es wird mit den Videos und angefertigten Skizzen geklärt, wer wo gestanden hat und in welcher Reihenfolge die Tat abgelaufen ist. Da es um die Tatzeit schon dunkel war, sind einige Szenen erst nach Aufhellung genauer zu erkennen. Auf dem Video hört man Schreie aus dem Publikum und den Ruf „Allahu Akbar“. Die einzelnen Videos ließen sich zeitlich durch die Band, die auf der Bühne spielt, synchronisieren. Auf Nachfrage des Verteidigers erklärt der Polizist, dass 100 bis 200 Personen bei der Veranstaltung gewesen wären und davon 50 bis 70 vor der Bühne gestanden hätten.

Die Nachtatphase

Zunächst geht es um das Tatmesser. Es wurde in einer Mülltonne gefunden. Das Messer „Marke Bachmayer“ mit 16cm Klingenlänge wird in Augenschein genommen. Der Richter wendet sich an den Angeklagten, ob er das Messer wiedererkenne. Der Verteidiger gibt die Erklärung ab, der Angeklagte halte es für möglich, dass es das Tatmesser ist.

Danach geht es um die Festnahmesituation am 24.08.2024 gegen 21:45 Uhr. Ein Foto vom Angeklagten in einem gelben Regenmantel an einer Bushaltestelle hat ein Zeuge in das Hinweisportal der Polizei hochgeladen. Der Angeklagte erklärt das in dem gelben Regenmantel sei er. Der Richter ist froh, dass sich der Angeklagte äußert, ob der Angeklagte nicht noch mehr sagen möchte? Wieder blockt der Verteidiger ab. Er könne die Worte des Richters verstehen. Das mit den Einlassungen sei aber ein Prozess. „Wir machen uns Gedanken“. Auch der Nebenkläger möchte etwas hören. Der Verteidiger hat ein PDF vorbereitet, in dem er erklärt das prozessuale Verhalten des Angeklagten sei seine Sache. Sie seien fortlaufend im Gespräch. Der Angeklagte sei gesundheitlich nicht in der Lage auf weitere Ansprachen zu reagieren.

Der Richter möchte mit der Vernehmung fortfahren. Es sei an einem Treppenabgang noch eine Jacke gefunden worden. Auch sei ein zerstörtes Smartphone [das Xiaomi 10] gefunden worden. Von diesem Smartphone sei wohl ein Notruf abgesetzt worden.

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen und der Richter lobt die Arbeit der Polizei „Das war viel Arbeit. Das haben wir wahrgenommen.“.

Das Handy

Der nächste Zeuge ist ein 43-jähriger Polizist vom BKA in Berlin. Er kann Angaben zu dem mutmaßlich vom Angeklagten benutzten Handy Marke Xiaomi 10 machen. Das Xiaomi 10 wurde zerstört aufgefunden. Das Bild von dem zerstörten Handy wird in Augenschein genommen. Der Akku habe wohl gebrannt. Aus dem „Schrotthaufen“ seien 32 GB Daten rekonstruiert und in einer PC-Umgebung gesichert worden, erklärt der Polizist. Zusätzlich seien noch 10 GB aus einer verbundenen Cloud gesichert worden.

Die Untersuchung der Daten gliedere sich zeitlich in den Tattag, eine Woche vor der Tat und den Lebenslauf, so der Polizist.

Man habe etwa 100.000 Bilder, 2.000 Videos und 100 Audiodateien gesichert. Man habe im Suchverlauf 11.206 Google-Suchen auf dem Gerät gefunden. Der Richter merkt an „Kenn ich den Suchverlauf, kenn ich den Menschen.“. Man habe 15.000 Chat-Nachrichten zunächst maschinell übersetzt und später ausgewählte Nachrichten manuell ausgewertet. Auch die verbundenen WLANs wurden ermittelt.

Stichpunktartig zusammengefasst wurde folgendes gefunden: Bilder des Angeklagten, auch mit Tauhid Finger kurzen Haaren und Bart, ein Emoji mit Messer, ein Screen Shot mit IS Symbol, 12 YouTube Videos mit IS Bezug, symbolartige Bilder von Kriegsszenen oder Kampfszenen. Im Webverlauf fanden sich sehr viele religiöse Themen, Salafismus und Jihadismus. In 3 Chats habe sich der Angeklagte zur Tat unterhalten. Ein Werbebanner der Stadt Solingen aus einer E-Mail habe es im „Download“ gegeben. [Dieses scheint wohl einen Bezug zur Tat zu haben. Der Verteidiger wird dazu im weiteren Verlauf noch Fragen stellen.] Es gibt Inhalte der Medienstelle des IS (Kampfhandlungen, Predigten, Islamismus).

Am 18.08.2024 habe der Angeklagte eine Nachricht von dem Admin einer Chat-Gruppe auf Telegram bekommen. Darin ging es darum, was man tun solle, wenn man eine Tat plane. Man solle zwei Handys haben, sich mit dem Ort vertraut machen und Langstreckenlauf machen, waren wohl die Empfehlungen.

Der Angeklagte habe mit zwei Frauen kommuniziert. Es habe da sehr viele Nachrichten gegeben. Er wollte mit denen zusammenkommen, obwohl diese verheiratet waren oder ein Kind hatten. Eine der Frauen hat wohl die Vermutung geäußert, dass er beim IS sei.

Es habe auch Chats mit seiner Familie, seiner Schwester und seinem Bruder in der Türkei gegeben. In diesen habe er wohl zum Ausdruck gebracht, dass er deprimiert sei und nach Syrien zurückkehren wolle.

Der Nutzungszeitraum dieses Handys habe im Februar 2023 begonnen. Die verbundene Cloud sei schon seit 2019 genutzt worden. Seit 2019 gäbe es salafistische Themen, ab Oktober 2023 vermehrt radikale und islamistische Inhalte mit deutlicher Sprache. Durchgängig habe es religiöse Themen gegeben, mit einem Bezug zum IS erst später, ab 2023.

Der Angeklagte hat Bauchweh. Das führt zu einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung. Der Verteidiger erklärt aber nach der Pause „Wir haben keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten.“.

Der Verteidiger hat eine Menge Fragen an den Zeugen, die sehr ins Detail gehen. Der Zeuge erklärt, dass das Handy und Islamwissenschaftler seine Quelle gewesen seien. Der Verteidiger fragt dann gezielt nach, ob der Zeuge Kenntnis von Metadaten einer Bilddatei habe, das den Angeklagten zeige. „Die EXIF-Daten?“ Fragt der Zeuge zurück. Dann möchte der Verteidiger noch wissen welche Dateiart das Werbebanner der Stadt Solingen gehabt habe. Das kann der Polizist nicht sagen.

Dann geht es dem Verteidiger um den Begriff „Download“ und bezieht sich da auf das Werbebanner der Stadt Solingen. Er fragt, ob ein Download mit dem Willen des Benutzers stattfinde. Der Polizist räumt ein „Wenn ich den Begriff „Download“ verwendet habe, war das nicht korrekt.“. [Hier hat sich der Zeuge wohl etwas verunsichern lassen. Denn ein „Download“ findet vielfach auch ohne Mitwirkung des Benutzers statt. Dem Verteidiger scheint es aber wichtig, dass die Datei auch ohne aktives Handeln des Angeklagten auf das Handy gekommen sein könnte.] Der Verteidiger fragt noch ob das Werbebanner der Stadt Solingen vielleicht in die E-Mail selbst eingebettet war. Das kann der Zeuge nicht beantworten.

Der Zeuge gibt an, dass er die genaue Position der Dateien im Dateisystem nur stichprobenartig geprüft habe. Man könne sonst nicht effektiv arbeiten.

Der Verteidiger fragt zu dem Chat mit der Frau, die den Verdacht geäußert habe, der Angeklagte sei beim IS „Woher kommt die Erkenntnis? Wie kommt die Frau zu dem Verdacht?“. Dem Vertreter des Generalbundesanwalts scheint diese Fragetechnik des Verteidigers nicht zu gefallen, was ihn wohl zu der Aussage führt „Ich bin beanstandungsfreudig!“.

Dann fragt der Verteidige den Zeugen nach dem Pornokonsum des Angeklagten. Der Zeuge erklärt er habe zwei Arten von Bildern gesehen. Von Videos habe er keine Kenntnis. Die Bilder könnten aus allen möglichen Quellen stammen. Es seien viele Bilder gewesen. Das sei aber nicht Gegenstand der Auswertung gewesen.

Der Verteidiger fragt „Ist das üblich?“.
Der Vertreter des Generalbundesanwalts rügt die Frage als suggestiv, woraufhin der Verteidiger die Frage geringfügig umformuliert neu stellt. „Es handelt sich um Inhalte der privaten Lebensführung. Ich sehe den Erkenntnisgewinn nicht.“ entgegnet der Zeuge.

Der Vertreter des Generalbundesanwalts merkt an, der Verteidiger solle doch die Zeugenbefragung nicht für die Evaluierung der Ermittlungen nutzen.

Der Verteidiger fragt den Zeugen noch ob er die Begriffe „Halal“ oder „Haram“ kenne. Der Vertreter des Generalbundesanwalts „Das ist eine Wissensfrage!“ Der Richter meint das sei vielleicht nur eine Vorfrage, als Einleitung für die eigentliche Frage. Der Vertreter des Generalbundesanwalts „Ich bin mir sicher, dass man eine Frage ohne Vorfrage stellen kann.“

Dann möchte der Verteidiger noch vom Zeugen erfahren, ob er den Konsum von Pornos für IS konform halte. Der Richter meint dazu man solle dazu besser einen Experten befragen. [Vermutlich soll dazu später ein Gutachter gehört werden.]

Für den Verteidiger scheint die Interpretation der Aussage des Angeklagten „Ich ficke Deutschland und seine Homosexuellen.“ noch nicht abgeschlossen. [Die Aussage hatte der Angeklagte in einem Chat mit einer Frau getätigt.] Der Vertreter des Generalbundesanwalts „Ich finde den Wortlaut ziemlich explizit.“. Der Verteidiger merkt an, es könne falsch übersetzt worden sein. [Vermutlich wird dazu noch ein Sprachsachverständiger gehört.]

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