OLG Düsseldorf – Messerangriff von Solingen 1. Prozesstag

27

Am Freitag, den 23. August 2024, gegen 21:30 Uhr starben drei Menschen bei dem Messerangriff auf einem Stadtfest mit dem Motto: „Fest der Vielfalt“ in Solingen. Zehn weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Am 27. Mai 2025 beginnt nun das Verfahren gegen den mutmaßlichen Täter des Messerangriffs von Solingen im Prozessgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Bis zum 24. September sind 22 Verhandlungstage angesetzt. Rund 50 Zeugen und Gutachter sollen bis dahin gehört werden.

Vor dem Gebäude haben sich bei meiner Ankunft schon einige Pressevertreter mit ihren Kameras aufgebaut. Erste Interviews werden geführt. Besucher haben sich kaum eingefunden. Ins Gebäude geht es dann einzeln durch eine umfangreiche Sicherheitskontrolle. Ohne Personalausweis gibt es keinen Einlass. Der Ausweis wird vom Sicherheitspersonal kopiert. Taschen und Handys müssen von den Besuchern beim Sicherheitspersonal hinterlegt werden.

Drinnen gibt es die üblichen Statements für die Presse. Dann heißt es warten bis zum Aufruf der Sache. Ein Mitglied des Bundestages möchte so lange nicht warten und schon vorher in den Saal. Er fragt nach einem sachlichen Grund, der ihm dann auch erläutert wird. Ein Mitglied des Düsseldorfer Landtags beobachtet ebenfalls den Prozessauftakt.

Die Verhandlung

Der Angeklagte sitzt nach neun Monaten Untersuchungshaft mit gesenktem Haupt, den Oberkörper fast bis auf die Schenkel gebeugt, auf der Anklagebank. So wird er die meiste Zeit verharren. Zwei Pflichtverteidiger, einer aus Köln, einer aus Karlsruhe, sind dem Angeklagten zur Seite gestellt. In einer abgetrennten Kabine sitzen zwei vereidigte Übersetzer.

Der Richter verifiziert die Personalien des Angeklagten. Issa al H., 1998 geboren in Syrien, zuletzt wohnhaft in Solingen. Am 24. August 2024 vorläufig festgenommen.

Der Angeklagte bestätigt: „Ja. Das stimmt alles.“

Die Anklage

Der Prozessvertreter des Generalbundesanwalts, Jochen Weingarten, verliest die Anklage, die 95 Seiten lang sein soll. Er ist dabei so schnell, dass der Richter ihn nach einiger Zeit mit Rücksicht auf die Übersetzer bittet etwas langsamer vorzutragen.

Er referiert zur Geschichte des IS, spricht von Hinrichtungen, Folter, Tod und Terroranschlägen. Der Angeklagte habe sich entschlossen den Plan möglichst viele Menschen zu töten umzusetzen. Dabei habe er Verbindung zu einem IS-Mitglied gehabt. Er habe in einem Video dem IS einen Treueschwur geleistet. Er habe einen Messerblock erworben, darunter ein Messer mit einer Klingenlänge von etwa 15cm. Er habe Videoaufnahmen weitergeleitet. Er habe 4 Videodateien an die Medienstelle des IS gesendet. Er habe „Allahu Akbar“ gerufen und auf die Halsregion seiner Opfer eingestochen.

Die gesamte Tat habe nur gut eine Minute gedauert.

Diese Minute, den eigentlichen Tatverlauf, schildert der Oberstaatsanwalt in der ermittelten Reihenfolge und im Detail. Es wiederholen sich die Worte: „von hinten in den Hals gestochen“, „Halsvene durchtrennt“, „Durchstich“, „NotOP“, „Drosselvene“, „Ader nur knapp verfehlt“, „Stichverletzung“, „Der sich keines Angriffs versah“, „er ging davon aus alles erforderliche getan zu haben“, „nicht mit einem Angriff gerechnet“, „nur eine Schlägerei vermutet“, „wie vom Angeklagten billigend in Kauf genommen“, „versah sich keines Angriffs“. Am Ende wehrte sich jemand durch Tritte. Auch er erlitt Schnittverletzungen, doch mit seiner Gegenwehr endeten die Angriffe.

Am 24.08.2024 habe der IS ein Bekennerschreiben veröffentlicht. Die Tat sei von einem Soldaten des IS begangen worden.

Der rechtliche Hinweis

Der Richter erteilt den rechtlichen Hinweis, dass auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt werden könnte.

Die Erklärung des Angeklagten

Der Verteidiger verliest eine Erklärung des Angeklagten. Er selbst spricht zunächst den Angehörigen der Toten sein Beileid aus und für die Verletzten sein Mitgefühl. Der Angeklagte lege ein Geständnis in Bezug auf die Tötung ab. Zum Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung möchte der Angeklagte lieber schweigen. Wir sind dem Recht verpflichtet und unserem Mandanten erklärt der Verteidiger, auch wenn ein unbegreifliches Verbrechen begangen wurde.

Die Beweisaufnahme

Der Verteidiger verliest die Einlassung zur Sache, die sich der Angeklagte danach zu eigen machen wird. „Ich bin H. aus Syrien und ich habe schwere Schuld auf mich geladen. Drei Menschen sind durch meine Hand gestorben, weitere schwer verletzt, manche haben nur durch Glück überlebt, auch sie hätten sterben können. Ich bin bereit ihr Urteil zu akzeptieren. Ich habe Menschen getötet nicht Ungläubige, deshalb verdiene ich die lebenslange Freiheitsstrafe.“

Der Angeklagte bestätigt „Ich habe alles gehört. Das ist so richtig. Ich bin halt schuldig. Ich fühle mich respektvoll behandelt.“

Dies sei eine abschließende Erklärung, so der Verteidiger. Das scheint den Verteidigern sehr wichtig, wie sich im weiteren Verlauf zeigt.

Der Richter hält die Ausführungen für ein grobes Geständnis. Stellt aber die Frage „Warum ist das passiert?“

Was der Angeklagte berichtet hat

Nach einer Pause von etwa 30 Minuten geht es mit der Vernehmung eines Psychologen als Gutachter weiter. Der Gutachter gibt an den Angeklagten zweimal hinter Trennscheiben exploriert zu haben.

Die erste Exploration

Der Angeklagte sei das sechste von acht Kindern. Er habe sunnitische Eltern, die Land gepachtet hätten. Zu den Eltern oder Geschwistern habe der Angeklagte keine Details angegeben. „Da gab es Krieg. Da kann man sich nicht erinnern.“ Er berichtete von Luftangriffen. Immer wieder Angriffe.

Die Schule habe der Angeklagte bis zur 6.oder7. Klasse besucht. Er sei ein schwacher Schüler gewesen.
2013 hat der IS versucht ihn zu rekrutieren. Davor sei er geflohen.
2014 sei er in der Türkei Metallschweißer gewesen.
2020 Habe er einen Unfall gehabt und im Krankenhaus gelegen. Zudem leide er 15 Jahre Lungenerkrankung.
2019 Sei er nach Syrien zurück. Er habe da Leichen auf den Straßen gesehen. Es habe Explosionen gegeben. Das habe ihn wenig emotional bewegt. Er habe dann 6.800$ gezahlt, um über Bulgarien und Ungarn schließlich nach Deutschland zu kommen. In Deutschland sei er in Bochum, Paderborn und dann in Solingen gewesen. „Deutschland sei das beste Land.“
Er habe zunächst in einem Dönerimbiss schwarz gearbeitet dann als Minijob.
Das übergeordnete Ziel sei ein Sprachkurs und das Heiraten gewesen. Er habe einen Heiratsvermittler bemüht.

Die zweite Exploration

Im zweiten Explorationsgespräch ging es um eine restriktive Sexualmoral. Bis zu dem Zeitpunkt war er nicht sehr gläubig. Er habe das Freitagsgebet des Öfteren verschlafen. Er habe wenig gebetet. Er habe keine religiöse Bildung.

Er berichtet davon Videos von zerstückelten und zerrissenen Kindern auf Telegram gesehen zu haben. Ein Unbekannter habe ihm gesagt töte irgendwen. Die Deutschen sind der Grund. Sein Gehirn sei gewaschen worden. Er habe ein Video aufgenommen und an den Chat-Partner geschickt. Er sei zu Unrecht Islamist. Er sei reingelegt worden. Er sei nicht bei Bewusstsein gewesen. Sein Gehirn sei nicht klar gewesen, eine vorübergehende Wahrnehmungsstörung. Er erinnere sich nicht.

Zu dem postdeliktischen Verhalten berichtet der Gutachter weiter, erst am nächsten Tag habe der Angeklagte seine Tat realisiert. Er wollte sich stellen. Ob er Fotos von den Leichen bekommen könnte? „Wenn es die Kinder nicht gegeben hätte, hätte ich es nicht getan.“ Er bereue die Tat. Es sei eine Dummheit gewesen. Er sei hereingelegt worden.

Die Nachfragen

Der Richter stellt noch etliche Nachfragen in Bezug auf die Explorationsgespräche, von denen ich hier nur einige wiedergebe.

Der Richter macht dem Gutachter den Vorhalt in einem Chat mit einer Frau habe der Angeklagte geschrieben „Ich ficke Deutschland und seine Homosexuellen.“ Der Gutachter erklärt dazu, dass der Angeklagte die Frau habe eifersüchtig machen wollen.

Der Richter fragt ob der Angeklagte in Bezug auf die Videos eingeräumt habe, dass er es sei. Der Gutachter berichtet, der Angeklagte habe ihm erklärt, dass das mit der Vermummung nicht funktioniert habe. [In einem der Videos ist die Person mit Geschirrtüchern vermummt.]

Der Richter fragt noch zu der Aufforderung „Töte so viel wie möglich.“, „Er habe ihm das Paradies versprochen“.

Der Richter hakt nach zu dem Thema, dass der Angeklagte ja Unschuldige getötet habe. Der Gutachter dazu: Der Angeklagte habe jetzt gelesen, dass die Ungläubigen nur auf dem Schlachtfeld getötet werden sollen. Dass es in Ordnung sei sie auf dem Schlachtfeld zu töten.

Der Richter fragt nach einem möglichen Drogenkonsum. Der Gutachter gibt an: „Keine Drogen. Nur Zigaretten“.

Der Vertreter des Generalbundesanwalts hat keine Fragen.

Sind Sie noch bei uns?

Der Richter wendet sich an den Angeklagten „Sind Sie bei uns?“, wohl um die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten zu überprüfen, denn die Körperhaltung des Angeklagten mit gesenktem Haupt, den Oberkörper fast bis auf die Schenkel gebeugt, läßt das nicht einfach erkennen.

Die Videos

Es werden noch vier Videos durch Abspielen auf zwei großen Leinwänden, eine an der rechten und eine an der linken Wand im Saal, in Augenschein genommen. Dazu werden die Übersetzungen der im Video gesprochenen Texte verlesen.

  1. Video
    In dem Video ist mutmaßlich der Angeklagte vermummt zu sehen, wie er ein Dönermesser hält.
    „Ich schwöre Treue … und stelle keinen Befehl in Frage.“
  2. Video
    In dem Video ist mutmaßlich der Angeklagte, diesmal nicht vermummt zu sehen.
    „Deshalb werde ich zerstückeln … Verzeiht mir!“
    „Ich habe mich für die Tat entschieden.“
  3. Video
    „Im Namen Gottes … es sind nur noch wenige Sekunden [„wenige Augenblicke“ soll die bessere Übersetzung sein. ]
  4. Video
    „Im Namen Gottes, ich schwöre dem Anführer [„Emir“ soll die bessere Übersetzung sein.] die Treue. Keinen Befehl in Frage zu stellen …“

Der Richter fragt den Gutachter „Haben Sie ihm die Videos vorgehalten?“. Der Gutachter bestätigt „Er [Der Angeklagte] ist der Urheber.“

Das Selbstleseverfahren

Dem Angeklagten werden am Ende der Verhandlung zwei gut gefüllte Aktenordner übergeben. Der Richter kündigt an, dass der Inhalt ab dem 2. September im Selbstleseverfahren zur Kenntnis genommen werden soll. Die übrigen Verfahrensbeteiligten (Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Nebenklagevertreter) erhalten die Dokumente in elektronischer Form. Die Verteidigung kann dagegen noch Einspruch erheben.

Damit endet der erste Prozesstag.

Disclaimer

Trotz sorgfältiger Recherche lassen sich Fehler nicht zu 100% ausschließen. Bitte senden Sie ggf. eine E-Mail an hdt@gluon.press, so dass wir eine Korrektur vornehmen können. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Ermittlungsverfahren die Unschuldsvermutung gilt. Dessen Einleitung bedeutet nicht, dass der strafrechtliche Vorwurf tatsächlich zutrifft.