OLG Düsseldorf – Messerangriff von Solingen- FAQ

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Stand: 23.06.2025

Was ist passiert?

Es sollte ein rauschendes „Festival der Vielfalt“ werden. Auf drei Bühnen wollte die Stadt Solingen am 23. August 2024 ihr 650-jähriges Bestehen feiern. 75.000 Menschen werden an dem Wochenende erwartet. Um 21:37 Uhr beginnt der Anschlag bei dem 3 Menschen sterben und 10 weitere zum großen Teil schwer verletzt werden. Das Fest wird daraufhin abgebrochen.

Wo findet der Prozess statt?

Der Prozess findet im Prozessgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf am Kapellweg 36 im Stadtteil Hamm statt.

Das Prozessgebäude liegt in unmittelbarer Nähe zum Medienhafen neben dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen und dient als Hochsicherheitsgerichtssaal für besonders sicherheitsbedürftige Strafverfahren. Anwohner gibt es hier nicht. Die meisten Bürogebäude liegen viele Meter entfernt. Das Gebäude wurde am 14. Januar 2004 eröffnet und verfügt über zwei Gerichtssäle, einen 560 m² großen Saal (Saal 1) mit Platz für bis zu 15 Angeklagte sowie einen 240 m² großen Saal (Saal 2) für bis zu sechs Angeklagte. Beide Säle sind mit Tageslichtfenstern ausgestattet. Auf dem Dach befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz. Die Verhandlung findet in Saal 1 statt.

Wie lautet die Anklage?

Die Tatvorwürfe sind dreifacher Mord, zehnfacher versuchter Mord in Tatmehrheit (§§ 211 Abs. 1, 22, 23 Strafgesetzbuch (StGB)), begangen aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch. Zudem lautet die Anklage auf gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB) und schwere Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB) ­alles in Tateinheit ­sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland ­dem Islamischen Staats (IS), (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).

Warum spricht der Richter den Angeklagten immer wieder persönlich an?

„Sind Sie noch bei uns?“, so oder ähnlich spricht der Richter den Angeklagten hin und wieder an. Den Wunsch nach einer Einlassung des Angeklagten zur Sache in einzelnen Punkten wiegeln die Verteidiger immer wieder vehement ab. Der Angeklagte sitzt die meiste Zeit mit gesenktem Haupt, den Oberkörper fast bis auf die Schenkel gebeugt, auf der Anklagebank. Der Richter hat die Aufgabe, ein faires Verfahren zu gewährleisten. Dazu gehört auch, dass der Angeklagte dem Prozess geistig folgen kann und in der Lage ist, sich zu verteidigen. Mit der Frage „Sind Sie noch bei uns?“ prüft der Richter, ob der Angeklagte weiterhin verhandlungsfähig ist. Fehlt diese Fähigkeit, spricht man von Verhandlungsunfähigkeit, was ein Verfahrenshindernis darstellt. Dies kann nach § 205 StPO zur Unterbrechung oder sogar nach § 206a StPO zur Einstellung des Verfahrens führen.

Warum gibt der Richter den rechtlichen Hinweis, dass auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt werden könnte?

Ein rechtlicher Hinweis ist grundsätzlich dann notwendig, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt ergibt, der für den Angeklagten nachteilig sein kann, insbesondere wenn dadurch eine schwerere Strafe, eine zusätzliche Maßnahme oder eine Nebenfolge droht. Die Pflicht zum Hinweis ergibt sich aus § 265 StPO. Ziel ist es, den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen zu schützen und ihm die Möglichkeit zu geben, seine Verteidigung auf die neue Rechtslage einzustellen.

Bezogen auf die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gilt allerdings: Die Strafprozessordnung sieht hierfür keine ausdrückliche Hinweispflicht vor. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ist keine neue prozessuale Tat und auch keine Anwendung eines anderen Strafgesetzes, sondern betrifft die strafzumessungsrelevante Bewertung innerhalb des bestehenden Tatvorwurfs. Daher ist ein rechtlicher Hinweis in diesem speziellen Fall nicht zwingend erforderlich, wird aber aus Gründen der Fairness und zur Vermeidung von Überraschungen in der Praxis häufig dennoch erteilt

Was bedeutet die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld?

Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld hat erhebliche Konsequenzen. Sie erschwert oder verzögert eine vorzeitige Entlassung aus einer lebenslangen Freiheitsstrafe, sodass eine Haftentlassung in der Regel erst nach deutlich mehr als 15 Jahren geprüft wird, oft erst nach 20 bis 25 Jahren oder später.

Was hat es mit dem Selbstleseverfahren auf sich?

Das Selbstleseverfahren ist ein spezielles Verfahren im deutschen Strafprozessrecht, das in § 249 Abs. 2 StPO geregelt ist. Es ermöglicht, Urkunden (einschließlich elektronischer Dokumente) nicht durch Vorlesen, sondern durch eigenständiges Lesen der Verfahrensbeteiligten in die Hauptverhandlung einzuführen. Ziel ist es, die Beweisaufnahme zu vereinfachen und die Hauptverhandlung, insbesondere bei umfangreichen oder zahlreichen Urkunden, zu beschleunigen und zu entlasten. Die Urkunden werden allen Verfahrensbeteiligten (Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern, Angeklagten, Nebenklägern) zur Verfügung gestellt, damit sie diese eigenständig lesen können. Die Verfahrensbeteiligten können gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens Widerspruch einlegen. Das Gericht entscheidet dann durch unanfechtbaren Beschluss.

Warum hat der Angeklagte zwei Verteidiger?

In besonders umfangreichen oder schwierigen Verfahren, etwa mit sehr vielen Akten oder komplizierten rechtlichen Fragen, kann das Gericht mehrere Verteidiger zulassen oder anordnen. Das soll sicherstellen, dass die Verteidigung effektiv arbeiten kann, auch wenn ein Anwalt ausfällt oder das Verfahren sehr arbeitsintensiv ist. Mehrere Verteidiger gewährleisten, dass der Angeklagte auch dann vertreten ist, wenn einer der Anwälte ausfällt oder verhindert ist. Das ist besonders bei langen und komplexen Prozessen wichtig.

Wieviele Handys nutzte der Angeklagte?

Ein Handy (Xiami 10) wurde völlig zerstört gefunden. Die Daten auf dem Handy und die Daten einer verbundenen Cloud konnten ausgewertet werden. Am 3. Prozesstag hat der Angeklagte den möglichen Fundort eines weiteren Handys bekanntgeben. Dieses wurde inzwischen wohl gefunden und wird aktuell forensisch untersucht.

Hat sicher der Angeklagte der Polizei gestellt?

In seiner persönlichen Einlassung zur Festnahmesituation am 5. Prozesstag gibt Issa al H. an er habe sich der Polizei stellen wollen. Die Einlassung erscheint nicht so eindeutig und die Aussagen der beiden an der Festnahme beteiligten Polizisten stehen dem eher entgegen.

Disclaimer

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