Heute sollen drei weitere am Einsatz mit Mouhamed Dramé beteiligte Polizisten als Zeugen vor Gericht aussagen. Am Ende reicht die Zeit nur für einen Zeugen und eine Zeugin. Der dritte Zeuge wird dann wohl später noch einmal vorgeladen.
Die Rituale
Der Zeuge und die Zeugin werden dem Ritual folgend, das man heute in jeder guten Gerichtsshow sehen kann, nach ihrer Person befragt und anschließend belehrt, dass Falschaussagen strafbar sind.
Ebenso scheint es ein Ritual zu sein, dass sich der Vertreter der Nebenklage den Zeugen als Professor F. vorstellt.
Die Vernehmungen
Wir beginnen wieder mit den Punkten, die nicht direkt das Tatgeschehen betreffen.
Die Vorbereitung
Der Zeuge berichtet aus unserer Sicht offen und authentisch schon fast unbedarft von den Geschehnissen. Auf die Frage ob er sich auf die Aussage vorbereitet hätte, antwortet er „gar nicht“. Er kann seine Sicht der Geschehnisse flüssig und im Detail vortragen. Genau diese Details geben aber wohl der Staatsanwaltschaft und Nebenklage Anlass Widersprüche zu entdecken, was sie ausgiebig versuchten. Dem Zeugen wird vorgehalten in einer früheren Aussage bestimmte Vorgänge nicht so detailreich beschrieben zu haben.
Der Auftrag
Der Zeuge gibt an mit dem Einsatzleiter im Streifenwagen in Uniform unterwegs gewesen zu sein. Sie seien zu einem Einsatz mit einem suizidalen Jugendlichem mit einem Messer am Bauch gerufen worden. Er selbst sei mit dem Funk beschäftigt gewesen. Er habe z.B. den Rettungswagen und Notarzt angefordert. Deshalb habe er auch nicht alles mitbekommen.
Der Beziehungsstatus
Es scheint ein Ritual zu werden, dass die Polizisten, die als Zeugen aussagen, nach ihrer Beziehung zu den angeklagten Polizisten befragt werden. Worauf sich das unvermeidliche bestätigt. Die beiden Zeugen und die Angeklagten kennen sich durch ihre berufliche Tätigkeit. So gab der Zeuge an mit dem Einsatzleiter, mit dem er im Streifenwaagen zum Einsatz gefahren ist, nach dem Einsatz auch wieder zurück zur Wache gefahren zu sein.
Auf die Frage, warum er die Wache Nord verlassen habe, gab der Zeuge an er habe sich spezialisieren wollen und es stehe in keinem Zusammenhang mit dem Einsatz. Diese Aussage versuchte die Staatsanwaltschaft mit dem Vorhalt einer vom Zeugen gesendeten Chat-Nachricht, mit der er sich von den Kollegen verabschiedet hatte, zu erschüttern.
Der „Messereinsatz“
Der Zeuge machte schon in seinen Ausführungen zum Tathergang deutlich, wie er die gewählte Vorgehensweise einschätzt. Er wurde dann auch ausgiebig zu Einsatzmitteln und dem Vorgehen befragt.
Den Einsatz des Pfeffersprays hielt der Zeuge für sinnvoll. Er habe das in der Ausbildung an sich selbst ausprobiert. Ein Taser hätte bei Mouhamed zu Verkrampfungen und in deren Folge zu Verletzungen mit dem Messer führen können. Diese Einschätzung deckt sich mit den Ausführungen der bereits gehörten Zeugen.
Der Zeuge machte sehr deutlich, dass er den Einsatz des Tasers bei einem „Messereinsatz“ für wenig zielführend ansah. Er gab an dazu eine Hausarbeit geschrieben zu haben. Für den Zeugen war klar, bei einem „Messereinsatz“ sei immer die Schusswaffe zu nehmen. Dabei sei genau ein Sicherungsschütze abzustellen, damit eben nicht alle durcheinander schießen und die Polizisten sich nicht gegenseitig oder Unbeteiligte treffen.
Das konnte der Vertreter der Nebenklage, der Professor, so wohl nicht stehen lassen. Er fragte, was ein „Messereinsatz“ denn sei. Er versuchte den Zeugen durch weitere sehr in die Tiefe gehenden Frage als „nicht kompetent“ erscheinen zu lassen. Er fragte z.B. eine konkrete Vorschrift in Bezug auf den Gebrauch der Taser ab. Das Ganze gipfelte dann in der Gegenfrage des Zeugen, ob sich der Nebenkläger schon mal in so einer Situation befunden habe. Gegenfragen hat sich der Vertreter der Nebenklage verbeten. Der Richter belehrte den Zeugen dann auch entsprechend, dass er nur Fragen beantworten solle. Danach war es mit der Unbefangenheit, mit der der Zeuge seine Aussage bisher vorgetragen hatte, vorbei, so unser Eindruck.
Die Maschinenpistole
Der Zeuge erklärte, dass Dauerfeuer mit einer Maschinenpistole „verboten“ sei. Die läuft dann nach oben rechts weg. Zudem sei es nicht einfach möglich die Maschinenpistole mit einem Hebel auf Dauerfeuer zustellen. Dem Richter schien dies schon bekannt zu sein, er erwähnte, dass für Dauerfeuer wohl ein „Umbau“ der Maschinenpistole notwendig sei.
Die 7-Meter-Regel
Der Zeuge bemängelte, dass sich der Zivilpolizist, der versucht hatte mit Mouamed Kontakt aufzunehmen, viel zu nah an Mouhamed herangewagt habe, eben weit unter die magische 7-Meter Marke. Nach seiner Einschätzung wäre das sehr gefährlich gewesen.
Die Body-Cams
Der Zeuge erklärte, wie eine Body Cam eingeschaltet wird und dass die Daten beim Laden automatisch an eine zentrale Stelle gesendet werden. Body Cams würden eingeschaltet bei Gefahr für Leib und Leben und für verschiedene Zwecke eingesetzt z.B. zur Deeskalation. Die Verwendung der Body Cam sei aber bei bestimmten Einsätzen u.a. bei psychisch auffälligen Personen nicht zulässig. Seine Body Cam sei nicht eingeschaltet gewesen, er habe auch nicht darauf geachtet, ob diese beim Laden Daten übertragen habe. Im Nachhinein wäre es wohl besser gewesen, die Body Cams einzuschalten, erklärte der Zeuge.
Die Anzeige gegen einen Toten
Die Zeugin hatte noch am Tatabend um 18.22 Uhr eine Anzeige wegen Bedrohung gegen Mouhamed Dramé gefertigt, zu der sie ausgiebig befragt wurde.
Es ging um die Fragestellung, ob es mehrere Anzeigen oder Versionen davon gegeben habe. Die Zeugin gab hierzu an, dass sie nur eine Anzeige erstellt und abgeschlossen habe und sie nicht wisse, wie die Software dort „Nummern“ vergeben würde.
Auf Nachfrage gab die Zeugin an, dass sie mit Abschluss der Anzeige noch keine Kenntnis vom Tode Mouhameds gehabt habe. Hintergrund der Fragestellung ist wohl §206a StPO. Der Tod ist in der Juristensprache ein „Verfahrenshindernis“. Noch dazu ein unbehebbares, jedenfalls nach heutigem Stand der Wissenschaft. Wir haben dazu einen etwas länger zurückliegenden Fall gefunden:
https://www.waz.de/staedte/essen/gericht/article234918/strafverfahren-gegen-einen-toten.html
Das Neutralitätsgebot
Beide Zeugen wurden wohl in Dortmund und nicht in Recklinghausen vernommen. Die Vernehmung erfolgte aber durch Polizeibeamte aus Recklinghausen. Die Zeugin habe die Anzeige gegen Mouhamed wegen Bedrohung erstellt, bevor die Mordkommission in Recklinghausen die Ermittlungen übernommen habe.
Der Tathergang
Der Zeuge schildert den Tathergang im Detail. Er wird auch zu vielen Details befragt. Immer wieder versuchen Staatsanwaltschaft und Nebenklage in der Aussage Widersprüche aufzudecken. Es scheint dem Zeugen nicht immer klar auf welchen Zeitpunkt sich eine Frage bezieht. Es geht um die Anzahl Schritte, Abstände und Standorte der Beteiligten. Im Wesentlichen stimmen die Aussagen mit denen der bereits gehörten Zeugen überein.
Wir beschränken uns hier auf die Teile, die aus unserer Sicht einen wesentlichen Erkenntnisgewinn über die bisherigen Aussagen hinaus bringen.
Der Zeuge macht genauere Angabe zur Haltung des Messers. Dies soll Mouhamed hin und wieder fast aus der Hand geglitten sein.
Der Zeuge geht davon aus, dass Mouhamed das Geschehen um sich herum, den Polizeieinsatz, mitbekommen haben muss. Es wäre am Einsatzort sehr laut gewesen.
Der Zeuge geht davon aus, dass Mouhamed nicht richtig vom Tränengas getroffen worden sei. Er beschreibt eine Art Niesel/Nebel der auf Mouhamed niedergegangen ist. Woraufhin Mouhamed mit dem Messer in der Hand unfassbar schnell aufgesprungen sei.
Die Frage ob denn genug Zeit gewesen sei, den Einsatz der Taser anzukündigen beantwortete der Zeuge mit nein.
Bei den Schüssen aus der Maschinenpistole soll es sich laut dem Zeugen um „kontrollierte“ Schüsse gehandelt haben, wie man es in der Ausbildung lernt. Die ersten Schüsse hätten für ihn keine Wirkung gehabt erklärte der Zeuge. Er habe die Hand bereits an der Waffe gehabt und hätte, wenn die vorangegangenen Schüsse keine Wirkung gezeigt hätten, ebenfalls geschossen. Diese Aussage steht im Widerspruch zu den vom Zeugen erläuterten Einsatzvorgaben, dass es nur einen Sicherungsschützen geben soll.
Die Zeugin kann nicht viel zur Aufklärung des Tatgeschehens beitragen. Sie war u.a. damit beschäftigt Schaulustige vom Einsatzort fernzuhalten. Sie habe sich erst nachdem sie Knallgeräusche gehört habe, dem Ort des Geschehens zugewendet und beschrieb das Geschehen als tumultartig.
Wie geht es weiter
Der Prozess soll am Mittwoch, den 13. März, fortgesetzt werden. Dann sollen zwei Kommissar-Anwärter gehört werden, die die Polizisten bei dem Einsatz begleiteten, als Zeugen gehört werden. Die Angeklagten haben sich bisher noch nicht zum Geschehen geäußert.
Disclaimer
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