Erstmals sagen im Prozess gegen fünf Polizistinnen und Polizisten wegen der tödlichen Schüsse auf Mouhamed Dramé zwei am Einsatz beteiligte Polizisten als Zeugen aus. Die beiden Polizisten waren in Zivil in der Dortmunder Nordstadt unterwegs als sie zu dem Einsatz im Innenhof der Jugendeinrichtung gerufen wurden, in der Mouhamed Dramé wohl erst kurz zuvor untergebracht wurde.
Die Vernehmung
Die Vernehmung beider Zeugen geht sehr ins Detail. Selbst ein von einem der Polizisten mitgeführtes Skateboard scheint eine Rolle zu spielen. Wir versuchen hier einige der aus unserer Sicht wichtigen Punkte zusammenzufassen.
Wir beginnen mit den Punkten, die nicht direkt das Tatgeschehen betreffen.
Die Struktur der Aussagen
Beide Zeugen konnten ihre Aussagen flüssig und strukturiert vortragen, so dass die Frage aufkam, ob sie sich auf die Aussagen vorbereitet hätten. Einer der Zeugen antwortete darauf: „Ich habe mich seit eineinhalb Jahren auf diese Aussage vorbereitet.“. Auf Grund der Tätigkeit der Zeugen als Polizisten wird das möglicherweise nicht deren erste Aussage vor Gericht gewesen sein. Eine gewisse „Professionalität“ dürfte nach unserer Einschätzung zu erwarten sein.
Der Auftrag
Die beiden Zivilpolizisten sollten die Lage aufklären, wo befindet sich Mouhamed und wie verhält er sich.
Der Beziehungsstatus
Da es sich bei den Zeugen um Polizisten handelt, wurde versucht zu klären in welcher Beziehung die Zeugen zu den angeklagten Polizisten stehen oder standen. Es wurde versucht zu klären wer mit wem wann kommuniziert hat. Hier fiel das Stichwort WhatsApp. Einer der Zeugen wurde konkret gefragt, ob er mit einer der Angeklagten liiert sei.
Das mildeste Mittel
Einer der Zeugen erklärte auf Nachfrage, dass Pfefferspray im Gegensatz zu Tasern das mildere Mittel sei. Bei Pfefferspray sei der Getroffene aus der Erfahrung heraus „mit sich selbst beschäftigt“. Er würde sich also z.B. die Augen reiben. Bei Tasern käme möglicherweise zu Verkrampfungen, so dass es im konkreten Fall zu Verletzungen durch das mitgeführte Messer hätte kommen können.
Die Maschinenpistole
Einer der Zeugen erklärte, dass er eine Maschinenpistole bisher nur mit Gehörschutz im Training gehört habe. In der Einsatzsituation gab es wohl zusätzlich Knallgeräusche der Taser. So falle es ihm schwer die Anzahl der Schüsse anzugeben. Beide Zeugen gaben an, dass es in jedem Fall unterschiedliche Knallgeräusche gab.
Die 7-Meter-Regel
Beide Zeugen wurden noch nach der sogenannten 7-Meter-Regel befragt. Man geht dabei davon aus, dass selbst ein Polizist mit Pistole einen Angreifer mit Messer aus 7 Metern Entfernung nicht gesichert stoppen kann. Auch wenn der Angegriffene die Waffe schnell genug ziehen kann und den Angreifer trifft, ist das keine Gewähr dafür, dass der Angreifer dadurch auch früh genug gestoppt wird.
Der erste Zeuge bestätigte, dass der Gebrauch der Schusswaffe bei einem Messerangriff seiner Ansicht nach die einzige Option sei. Der zweite Zeuge antwortet auf die Frage, ob es Anweisungen gäbe, wie oft in so einem Fall geschossen werden sollte, es gäbe da keine Vorgabe also, bis ein Wirkungstreffer erzielt ist bzw. der Angriff beendet ist.
Die statische Lage
Die Zeugen wurden befragt, ob sie den Begriff statische Lage kennen. Der Einsatz von Pfefferspray hat wohl die sogenannte stabile Lage in eine instabile Lage gewandelt. Einer der Verteidiger merkte dazu an, dass er inzwischen vier Methoden kennen würde, die in der Nachbetrachtung möglicherweise besser gewesen wären. Er führte zwei an, ein SEK oder Psychologen und einen Übersetzer anfordern. Die angeklagten Polizisten hätten mit dem Pfefferspray versucht Mouhamed schnell aus der Situation der Selbstgefährdung zu befreien. Mouhamed stand da mit dem Messer am Bauch.
Der Tathergang
Die Aufgabe der beiden Zeugen war es die Lage aufzuklären. Sie schilderten ihr Vorgehen sehr detailreich von der Ankunft am Tatort bis zum Abtransport von Mouhamed Dramé im Rettungswagen.
Der Ablauf
Zeuge 1 hat Mouhamed Dramé, der mit dem Messer zu seinem Bauch gerichtet an einer Mauer lehnte, mit mehreren Sätzen auf spanisch angesprochen. Da keine Reaktion erfolgte, hat er versucht Blickkontakt herzustellen und sich heruntergebeugt. Dabei habe er aber einen Sicherheitsabstand von 7 Metern deutlich unterschritten wurde angemerkt. Zeuge 2 habe mit der Hand an der Waffe dabei die Sicherung übernommen. Das Ganze habe 3-4 Minuten gedauert. Als Zeuge 1 dann mitbekommen hat, dass Pfefferspray eingesetzt werden sollte, habe er sich von Mouhamed zu den anderen Einsatzkräften zurückgezogen und Mouhamed dabei sogar den Rücken zugekehrt. Dann erfolgte der Einsatz von Pfefferspray. Als Reaktion habe sich Mouhamed schnell in Richtung der Einsatzkräfte bewegt. Die Taser werden eingesetzt. Beide Zeugen berichten, dass sie nur den Einsatz von einem Taser wahrgenommen haben. Und in direkter Folge wurde die Maschinenpistole eingesetzt. Mouhamed sank vor einem geparkten Auto zu Boden. Mit dem Knie auf der Schulter von Mouhamed versuchte der Einsatzleiter ihn am Boden zu fixieren. Mouhamed habe auf dem Boden liegend „Widerstand“ geleistet, weshalb ihm Handfesseln angelegt wurden. Die Zeugen unterstützten dabei und suchten nach dem Messer. Erst als das Messer gefunden war, sei die Gefahr vorbei gewesen. Auch im Rettungswagen soll Mouhamed noch „Widerstand“ geleistet haben.
Von der ersten Ansprache bis zur Schussabgabe dauerte es nach Angaben der Zeugen etwa 15 Minuten.
Einsatz von Pfefferspray wurde wohl nicht angedroht
Übereinstimmend erklärten beide Zeugen, dass sie eine Androhung des Einsatzes von Pfefferspray nicht wahrgenommen hätten. Dies scheint ein entscheidender Punkt für die Bewertung der Strafbarkeit zu sein. Ein Polizist muss die Anwendung von Zwang normalerweise vorher androhen. Für einen Sofortvollzug, also die erlaubte Anwendung von Zwang ohne vorherige Androhung, gibt es wohl nur ganz wenige Situationen.
Kein Dauerfeuer der Maschinenpistole
Beide Zeugen gehen übereinstimmend davon aus, dass es sich nach ihrer Einschätzung bei den Schüssen aus der Maschinenpistole nicht um Dauerfeuer gehandelt habe.
Einsatz eines zweiten Tasers
Der Einsatz eines zweiten Tasers wurde wohl von beiden Zeugen nicht wahrgenommen.
Keine andere Fluchtmöglichkeit
Der Tatort ist von zwei Seiten durch hohe Mauern und auf der dritten durch einen Zaun begrenzt. Der einzige Ausweg für Mouhamed Dramé war also in Richtung der Einsatzkräfte. Das bestätigte auf explizite Nachfrage des Richters auch einer der beiden Zeugen.
Widerstand
Es wurde versucht die Frage zu klären, ob Mouhamed am Boden liegend Widerstand geleistet habe oder ob die Bewegungen möglicherweise einfach eine Reaktion auf die Schussverletzungen gewesen sein könnten. Die Zeugen benutzten den Begriff „Widerstand“ und gaben an, dass es in jedem Fall schwierig gewesen sei Mouhamed am Boden zu fixieren und selbst im Rettungswagen wäre es nicht einfach gewesen.
Nicht als Polizisten zu erkennen gegeben
Beide Zeugen gaben an, dass sie sich gegenüber Mouhamed nicht als Polizisten zu erkennen gegeben hätten.
Wie geht es weiter
Der Prozess soll am Mittwoch, den 6. März, fortgesetzt werden. Dann sollen weitere Polizisten, die am Einsatzort waren, als Zeugen gehört werden. Die Angeklagten haben sich bisher noch nicht zum Geschehen geäußert.
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