Mouhamed Dramé 21. Prozesstag

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Am 21. Prozesstag um Mouhamed Dramè werden ein Ausbilder des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW (LAFP NRW) und ein Gutachter zum Einsatz der DEIG (Taser) gehört.

Der Ausbilder des LAFP

Der 39-jährige Ausbilder des LAFP in Selm bildet Einsatztrainer der Polizei aus, die die Ausbildungsinhalte als sogenannte Multiplikatoren in die Breite tragen. Daher betont er immer wieder, dass er keine konkreten Aussagen zum Ausbildungsstand insbesondere der Angeklagten Polizisten machen kann. Auch gibt er wiederholt an, dass es keine verbindlichen Vorgaben für Einsatzsituationen gibt, denn jede Situation sei anders. Auch für die Wahl der Einsatzmittel gäbe es kein Verbot oder Gebot. Der Polizist vor Ort müsse selbst über das Vorgehen im konkreten Einzelfall entscheiden. Um Polizisten dazu zu befähigen, werden im Training vorgegebene Einsatzsituationen durchgespielt. Um Situationen wie die um Mouhamed Dramè zukünftig zu vermeiden, hat die Polizei in NRW als Lehre aus dem Fall das Training im Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen verstärkt.

Der Ausbilder hat inaktivierte Reizstoffsprühgeräte (RSG) und Distanz-Elektroimpulsgeräte (DEIG) mitgebracht. Er erklärt die Einsatzgebiete und Wirkungsweise der Geräte.

Das Pfefferspray

Das RSG6 hat nur 45ml Inhalt und 4 Meter Reichweite. Das eingesetzte RSG8 hat dagegen 400ml Inhalt und eine Reichweite von etwa 7 Metern. RSG6 und RSG8 haben denselben Wirkstoff und werden eingesetzt, um bei einer Festnahme Widerstand zu brechen bzw. herabzusetzen. Das RSG8 werde bei größeren Gruppen eingesetzt. Das Pfefferspray wirkt auf Augen, Atemwege und die Haut. Allerdings reagieren Menschen sehr unterschiedlich auf den Wirkstoff. Der Ausbilder gibt an, dass bei etwa 50% eine sofortige Wirkung und bei 10% überhaupt keine Wirkung eintritt. Zum Einsatz von RSG8 bei einem Suizidgefährdeten machte er keine Angaben.

Das DEIG

Der Ausbilder zeigt die Laserpunkte, einen grünen einen roten, eines DEIG an der Wand des Gerichtssaals und lässt den DEIG auch mal knistern, was im Einsatz wohl in 70-80% der Fälle die Lage „befriedet“, ohne die Kartusche auszulösen. Bei Stichwaffen sollte der DEIG grundsätzlich nicht eingesetzt werden, zumindest nicht ohne einen „Plan B“ vorbereitet zu haben. Das DEIG immobilisiert die getroffene Person durch 5 Sekunden dauernde Stromstöße im besten Fall vollständig, so dass sie unkontrolliert zusammensackt. Befragt nach einer Verletzungsgefahr für die getroffene Person, wenn diese ein Messer in der Hand hält, gab es keine Vorgaben von dem Ausbilder. Er bestätigte nur das, was jedem Laien auch klar sein dürfte, dass man sich, wenn man unkontrolliert zusammenbricht, verletzen kann. Er gab eine konkrete Übungssituation an, wo ein Suizidgefährdeter von einem Balkon springen will. Die Situation wird durch den Einsatz eines DEIG gelöst. Sobald die Person weit genug von der Kante des Balkons entfernt ist, wie der Richter anmerkt. In statischen Situationen böte das DEIG gute Erfolgsaussichten.

P99 oder HK MP5

Der Ausbilder gibt an, dass die HK MP5 zielgenauer sei als die Pistole P99 und insbesondere ein Laservisier habe. Es sei aber trotzdem nicht sinnvoll z.B. auf die Beine zu schießen. Man ziele auf den Oberkörper oder Hüftbereich, um bei einer Person in Bewegung eine realistische Chance auf einen Treffer zu haben. Wenn eine Person mit einem Messer auf die Polizei zuläuft, heißt es schießen, schießen, schießen, bis die gegenwärtige Gefahr abgewehrt ist. Es bleibe keine Zeit die Wirkung eines Schusses abzuwarten.

Die 7 Meter Regel

Die 7 Meter Regel entstammt einem Experiment, das in den USA durchgeführt wurde. Es wurde untersucht, wie weit ein Angreifer laufen kann, bis ein „durchschnittlicher“ Polizist seine Waffe gezogen und einmal geschossen hat. Wobei ein Schuss den Angreifer nicht zwangsläufig stoppen muss. Die 7 Meter Regel bedeute weder, dass ein Abstand zu einem Täter von mehr als sieben Metern sicher sei, noch dass man bei weniger schießen müsse.

Die Androhung von Zwangsmaßnahmen

Grundsätzlich muss die Polizei Zwangsmaßnahmen ankündigen, so steht es im Gesetz. Allerdings kann es nach dem Ausbilder auch Situationen geben, wo es nicht sinnvoll ist. Die angesprochene Person könnte sich auf die Maßnahme vorbereiten. Im Falle einer Suizidgefährdeten Person könnte sie ohne ein Überraschungselement erst recht ihren Plan umsetzen.

Der Gutachter DEIG

Großes Kino

Der Gutachter für die DEIG, Prof. Dr. K., sorgt zunächst für großes Kino im Saal 130 des Dortmunder Landgerichts. Er hat auf seinem Notebook eine Präsentation vorbereitet. Nur war das Gericht darauf nicht vorbereitet. Bisher wurden nur wenige Dokumente auf einem im Gerichtssaal vorhandenen Fernseher projiziert. Der vorsitzende Richter organisiert sehr souverän in kurzer Zeit einen Beamer und verwandelt eine Wand des Gerichtssaals in eine riesige Leinwand.

Das Gutachten

Der Gutachter erklärt zunächst grundsätzlich wie die hohe Spannung und niedrige Stromstärke dazu führen, dass sich die Muskeln der von einem DEIG getroffenen Person verkrampfen und so die Person immobilisieren. Wichtig dabei ist, dass der Abstand zwischen den beiden treffenden Pfeilspitzen nicht zu klein ist. Ein Treffer im linken Arm und rechten Bein sei dem zu Folge besonders wirkungsvoll. Erst ab einem Abstand von mindestens 30 cm tritt wohl eine vollständige Handlungsunfähigkeit ein, sonst möglicherweise nur eine schmerzbedingte Kontraktion.

Der Abstand zwischen den treffenden Pfeilspitzen war bei Mouhamed Dramè wohl zu gering. Das könnte laut Gutachter an der Verwendung der Fernkartuschen liegen. Ein DEIG hat eine Nah- und eine Fernkartusche, die die Pfeile in unterschiedlichem Winkel abfeuern. Der Einsatz der Fernkartuschen war im konkreten Fall laut Gutachter wohl nicht geeignet.

Auch arbeiten die DEIG wohl für nur sich allein. Falls nur eine Pfeilspitze eines DEIG trifft, kann kein Stromkreis geschlossen werden. Eine Kombination mit der Pfeilspitze eines anderen DEIG sei nicht möglich. Das DEIG misst zunächst den elektrischen Widerstand zwischen den Pfeilspitzen und gibt dann in 5 Sekunden 109 Stromstöße ab.

Das DEIG, welches nicht getroffen hat, wurde 3-mal ausgelöst, vermutlich weil keine Wirkung bemerkt wurde. Dies konnte aus den Protokollen, die die DEIG aufzeichnen, ermittelt werden.

Die Pfeilspitzen verursachen laut Gutachter nur sehr kleine Verletzungen, so dass diese leicht übersehen werden können, insbesondere wenn in dem Bereich operiert wurde.

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