Malte N. Klimakleber 1. Prozesstag

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Der Prozess gegen „Klimaaktivist“ Malte N. startet vor dem Landgericht Essen in Saal 101. Malte N. gehört zur Bewegung „Letzte Generation“. Angeklagt werden insgesamt 22 Straftaten darunter 16 Nötigungen, bei 13 davon mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, drei Sachbeschädigungen und drei Hausfriedensbrüche im Zeitraum vom 13.01.2023 bis zum 29.08.2023 in Essen, Köln, Düsseldorf, Dortmund, Münster und Bottrop. Eine Liste der wichtigsten Anklagepunkte ist unten angehängt.

„Ich hab viel zu verlesen“

Die Verlesung der Anklageschrift durch die Staatsanwältin dauert dann auch entsprechend lang und wird dazu noch unterbrochen. Der Verteidiger von Malte N. stellt beim Anklagepunkt rund um den Düsseldorfer Flughafen fest, dass die Staatsanwältin wohl eine Ergänzung vorliest, die dem Verteidiger nicht vorliegt. Es stellt sich heraus, dass es eine neue Version der Anklageschrift gibt, die dem Verteidiger und dem Angeklagten nicht zugestellt wurde. Es gibt eine Unterbrechung der Verhandlung.

Ist der Prozess geplatzt, bevor er richtig begonnen hat?

Die Verhandlung wird fortgesetzt. Der Richter nimmt zu Protokoll, dass die neue Version der Anklageschrift nun zugestellt wurde und der Verteidiger auf die Einhaltung einer Frist verzichtet. Offenbar war die Änderung nicht so umfangreich oder gravierend, dass es einer Verzögerung des Prozesses bedurft hätte. Vermutlich bestand auf Seiten der Verteidigung auch kein Interesse an einer unnötigen Verzögerung.

„Wir dachten, wir schaffen etwas Großes.“

Malte N. hat eine mehrseitige Erklärung vorbereitet, die er nach den Angaben zu seiner Person, 21 Jahre alt und 1 Komma Abiturient, auch verliest. Er erklärt, wie er zum „Klimakleben“ gekommen ist. Flutkatastrophe im Ahrtal und ein Buch von Carola Rackete. „Ich habe gemerkt, dass ich etwas tun muss“. Er räumt ein an den Aktionen teilgenommen zu haben und versucht diese als nicht so schlimm und sich selbst als Opfer darzustellen. Es lag an der Polizei, dass der Verkehr nicht schneller wieder fließen konnte, eine Rettungsgasse und ein „Abreißen“ (von der Fahrbahn) sei ja immer möglich gewesen. In Bezug auf die Aktion am Düsseldorfer Flughafen sagt Malte N. „Wir haben uns gefühlt wie David gegen Goliath. Die Aktion sei völlig „krass“ gewesen. „Wir dachten, wir schaffen etwas Großes.“ Es habe aber keine Gefahr für den Flugverkehr bestanden. Als Aktivist stehe man immer kurz vor dem Burnout. Der Rechtsstaat zeige sein hässliches Gesicht. Er rechne mit einer Hausdurchsuchung. Er sei bei seinen Aktionen beschimpft worden „Hängt die da gleich auf, die A …“. Er beklagt Polizeigewalt und zu hohe Reinigungskosten, die verwendete Farbe sei ja schließlich abwaschbar gewesen. Versammlungen seien nicht aufgelöst worden oder unrechtmäßig aufgelöst worden. Das Recht auf Versammlungsfreiheit sei eingeschränkt worden. Er beklagt Einblicke in seine Konten und spricht von politischer Verfolgung. „Wer sind Sie, dass Sie über uns urteilen?“. Er beklagt in Bayern 33 Tage in Präventivhaft gesessen zu haben. Er zitiert Martin Luther King und fragt das Gericht „Wo stehen Sie?“. Am Ende spricht er direkt eine Schöffin, eine Grundschullehrerin, an, sie solle sich ein eigenes Bild machen.

Nach seiner Rede gibt es Beifall aus dem Publikum. Der Richter lässt sich die ausgedruckte Erklärung aushändigen, um sie zu Protokoll zu nehmen. „Damit wir sie da auch richtig verstehen.“

„Wir sind innerhalb des Systems“

Der Vorsitzende Richter versucht durch seine ruhige Art für alle am Verfahren Beteiligte eine entspannte Atmosphäre herzustellen, wobei er in einigen Punkten doch sehr bestimmt sein kann. So erklärt der Richter dem angeklagten Malte N., dass das Gericht innerhalb des Systems arbeite. Sitzblockaden seien halt komplex. Bei der Vielzahl der Fälle sei es aus Kapazitätsgründen nicht möglich das vor einem Amtsgericht zu verhandeln. „Der Aufgabe stellen wir uns!“. Zudem deutet der Richter an, dass, soweit keine weiteren Umstände bekannt werden, Malte N. den Gerichtssaal wohl als freier Mensch verlassen wird.

Die Zeugen

Die meisten der Zeugen können sich an Details zum Geschehen kaum noch erinnern oder sie waren nur arbeitsteilig in das Geschehen involviert, so dass sie überhaupt nur zu einem kleinen Ausschnitt des Geschehens etwas sagen konnten. Es geht bei der Befragung der Zeugen u.a. um folgende Fragestellungen.

Welche Beschaffenheit hatte die verwendetet Farbe? Außer, dass die Farbe orange oder gelb war, konnte keiner der Zeugen Angaben zur Beschaffenheit der Farbe machen. Allerdings konnte ein Zeuge von den Reinigungsarbeiten berichten. Es seien zunächst Hochdruckreiniger nur mit Wasser verwendet worden, was wohl nicht ausreichend war. Die Reinigung hätte bei Einsatz von einem Hubwagen und 4-5 Personen mehrere Tage gedauert. „Die haben geflucht!“.

Der Verteidiger von Malte N. stellt darauf ab, dass bestimmte Strafanträge nicht wirksam gestellt worden seien. Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch sind sogenannte Antragsdelikte. Antragsberechtigt ist in der Regel der Träger des durch die Tat unmittelbar verletzten Rechtsguts, also bei einem Hausfriedensbruch der Inhaber des Hausrechts und bei einer Sachbeschädigung der Eigentümer der beschädigten Sache oder eben ein wirksam Bevollmächtigter. Bei einer Firma (juristischen Person) ist der gesetzliche Vertreter also z.B. ein Geschäftsführer oder Vorstand berechtigt einen Strafantrag zu stellen oder jemandem eine Vollmacht dafür auszustellen. In den beanstandeten Fällen scheint es so, dass jemand vor Ort von einem „Vorgesetzten“ den Auftrag bekommen hat, den Strafantrag zu unterschreiben, womit der dann mangels wirksamer Vollmacht eben unwirksam sein dürfte. Ein Hausfriedensbruch kann dann nicht mehr verfolgt werden, da Hausfriedensbruch ein absolutes Antragsdelikt ist. Bei einem relativen Antragsdelikt, wie Sachbeschädigung, kann die Staatsanwaltschaft allerdings ein besonderes öffentliches Interesse bejahen, so dass diese trotzdem verfolgt werden kann.

Einige Zeugen bestätigen auf Nachfrage, dass es bei der Bearbeitung der Vorfälle „keinen Stress“ gegeben hätte.

Es wurde noch ein Video von einer Protestaktion durch Abspielen im Gerichtssaal in Augenschein genommen.

Die wichtigsten Anklagepunkte

13.01.2023EssenRWE-Zentrale
Der Angeklagte sprühte mit gelber, wasserlöslicher Farbe zwei Kreuze an die Fassade der RWE-Zentrale
Reinigungskosten ca. 500EUR
17.01.2023DüsseldorfMinisteriums des Innern NRW
Der Angeklagte klebte seine rechte Hand an den Boden und seine linke Hand an die Drehtür, um eine Nutzung der Drehtür zu verhindern.
08.02.2023EssenRWE-Zentrale
Orange Farbe aus Feuerlöscher
Reinigungskosten ca. 11.447EUR
09.02.2023KölnBalkon des Rathauses
Der Angeklagte kletterte mit drei gesondert Verfolgten auf den Balkon und hielt dort ein Banner hoch
„Wir müssen reden“.
16.03.2023KölnDenkmal Kaiser Wilhelm I
mit orangefarbener Farbe übergossen.
Reinigungskosten ca. 3.351EUR.
https://www.ksta.de/koeln/koeln-letzte-generation-uebergiesst-kaiser-wilhelm-statue-mit-farbe-533906
30.03.2023HamburgRathaus
Der Angeklagte besprühte mit einem gesonderten Verfolgten die historische Gebäudefassade mit orangener Farbe aus einem Feuerlöscher.
Reinigungskosten ca. 8.336EUR und 6.356EUR.
Hier wurde wohl auch eine Reinigungskraft mit Farbe besprüht, die nun unter Schlafstörungen leiden soll.
Reinigungskosten ca. 150EUR.
13.07.2023DüsseldorfFlughafen DUS
Der Angeklagte begab sich mit acht gesondert Verfolgten zum Flughafen. Sie durchtrennten Stacheldraht mit einem Bolzenschneider und kletterten über den Sicherheitszaun. Sie liefen zur Rollbahn und klebten sich mit einem schnell härtendem Quarz-Sand-Gemisch fest. Das löste einen Hubschraubereinsatz aus.
Der Flugverkehr war für über drei Stunden eingeschränkt.
29.08.2023EssenRWE-Zentrale
Der Angeklagte besprühte mit zwei gesondert Verfolgten die Außenfassade mit orangener Farbe aus einem Feuerlöscher.
Reinigungskosten ca. 25.900EUR.
Hier wurden wohl auch unbeteiligte Fahrzeuge beschädigt.
16.10.2023HeidelbergNeue Universität
Eingangsbereich mit Farbe aus Feuerlöscher besprüht.
Reinigungskosten ca. 30.000EUR
https://www.rnf.de/mediathek/video/letze-generation-besprueht-uni-heidelberg/
Die wichtigsten Anklagepunkte

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