OLG Düsseldorf – Messerangriff von Solingen 5. Prozesstag

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Am Freitag, den 23. August 2024, gegen 21:30 Uhr starben drei Menschen bei dem Messerangriff auf einem Stadtfest mit dem Motto: „Fest der Vielfalt“ in Solingen. Zehn weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Der geständige Angeklagte Issa Al H. muss sich dafür vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht verantworten.

Am 5. Prozesstag sagen 5 Zeugen aus, eine Familie aus Solingen, die auf dem Konzert war und die zwei Polizisten, die den Angeklagten festgenommen haben.

Zeuge 1

Der 20-jährige Gregor R., der mit seinen Eltern auf dem Konzert war, erklärt seine Eltern hätten rechts von ihm gestanden. Er habe den Ruf „Allahu Akbar“ gehört. Er habe gedacht, dass ihm jemand gegen den Hals geschlagen habe. Er habe sich mit seinen Eltern vom Ort des Geschehens entfernt. Jemand habe sich den Arm gehalten. Er habe Blut gesehen. Er selbst sei nicht verletzt worden. Seine Jacke, eine Bomberjacke mit Kapuze, habe ihn geschützt. Er meinte er sei der Erste gewesen. Es sei kein Blut an seiner Jacke gewesen. Er habe laute Ausrufe gehört und einen dumpfen Schlag wie eine Faust gegen Hals gespürt. Erst als er zu Hause war habe er die Schnitte an seiner Jacke gesehen.

Der Richter packt die in einem Plastikbeutel eingeschweißte Jacke am Richtertisch aus. „Das ist meine Jacke. Die habe ich getragen.“ bestätigt der Zeuge. Der Stoff der Jacke habe ihn geschützt erklärt er weiter. Auf Nachfrage des Richters zieht der Zeuge die Jacke an und zeigt die Stellen, wo die Jacke beschädigt wurde. Die Stellen seien geflickt worden. Nur in der Kapuze habe er Schnitte gesehen. Es sei nochmal gut gegangen.

Er habe nur den Bart des Täters gesehen und wie er in die Menschenmenge gelaufen sei.

Der Richter möchte noch wissen wie laut der Ausruf war. Um die Band zu übertönen, muss das schon sehr laut gewesen sein entgegnet der Zeuge. Er gehe immer noch auf Konzerte. Er habe da keine Probleme.

Am Ende fragt Gregor R. den Richter noch, wie er denn seine Jacke zurückbekommen könne. Der Richter beruhigt den Zeugen, der wohl sehr an seiner Jacke hängt, dass er die im Anschluss an den Prozess zurückbekommen würde.

Zeuge 2

Die Mutter von Gregor R., eine 63-jährige Dipl. Ing. aus Solingen, schildert, dass sie als Familie zum Stadtfest gegangen seien. Sie habe den Ruf „Allahu Akbar“ einmal deutlich hören können. Sie habe eine Person gesehen, die an den Hals ihres Sohnes gegangen und dann an der Bühne vorbei weggelaufen sei. Es seien ja nur Sekunden gewesen. Sie sei nicht von einem Messerangriff ausgegangen. Eine Verletzte Person habe sie gesehen. Es habe etwas gedauert, bis Sanitäter gekommen seien. „In dem Moment haben wir das Ausmaß nicht erkannt.“.

Dass die Jacke beschädigt gewesen sei, sei erst später aufgefallen. Sie seien nach Hause gegangen und hätten sich erst später bei der Polizei gemeldet. Die Zeugin erkennt sich auf einem Foto, das in Augenschein genommen wird, wieder „Da können Sie uns ja sehen. Genau da haben wir gestanden.“.

Zeuge 3

Der Vater von Gregor R., ein 61-jähriger Architekt aus Solingen, erklärt ebenfalls den Ruf „Allahu Akbar“ gehört zu haben. Er habe zunächst gedacht wer mache so einen geschmacklosen Scherz. Er habe eine Person neben seinem Sohn gesehen und die eher für einen Bettler gehalten. Er habe die aufgerissenen Augen gesehen. Er habe 10 Sekunden gebraucht, bis er realisiert habe, dass da ein Attentat läuft. Er habe die 110 angerufen. Die haben ihn aber wohl nicht ernst genommen. Erst im Nachhinein sei aufgefallen, dass die Kapuze der Jacke seines Sohnes zerschnitten war. Er habe ein kleines dünnes Männchen gesehen. Das Gesicht habe sehr schmal ausgesehen. Das Messer habe er nicht gesehen, nur so ein Erstaunen. Die Augen seien weit aufgerissen gewesen. Auch er erkennt sich auf einem Foto, das in Augenschein genommen wird, wieder.

Er habe die Jacke reinigen lassen und zum Schneider gebracht, da sein Sohn sehr an der Jacke hänge.

Die persönliche Einlassung des Angeklagten

Nach einer kurzen Unterbrechung möchte der Angeklagte, Issa al H., wie am vorhergehenden Prozesstag angekündigt, eine persönliche Erklärung abgeben. Es geht um die Festnahmesituation, die Situation im Bus und eine Wegbeschreibung.

„Ich grüße alle. Ich war in der Stadt, ich bin in einen Bus gestiegen. Ich sah alles ein bisschen schief. Und dann kam der Bus tatsächlich. Ich hatte mich nicht hingesetzt. Ich habe mich im Stehen festgehalten. Ich bin dabei fast eingeschlafen. Ich hörte, wie der Chauffeur etwas sagte. Ich erkannte den Platz, wo ich war. Es war so, dass ich jemanden gesehen habe, mit dem ich gearbeitet habe. Und den bat ich mir zu helfen. Ich bat ihn mich mit nach Hause zu nehmen. Dann wollte ich mich stellen. Von der anderen Seite kam ein Polizeifahrzeug. Ich wollte zur Polizeistation. … Ich habe der Polizei ein Zeichen gegeben. Ich habe … mit meinen Fingern Zeichen gegeben. Ich konnte ja kein Deutsch. …“

Der Verteidiger erklärt zu den Einlassungen, al H. sagt, dass er auf dem Weg zur Polizei war. Er habe den Plan abgekürzt.
Der Richter fragt den Angeklagten „Ist das so richtig?“.
Der Angeklagte „Ja.“.

Der Richter stellt noch Fragen so etwa, ob er auf der Suche nach einer Unterkunft gewesen sei.
„Ich habe auf einmal auf alles verzichtet und wollte zur Polizei. Zu der Zeit war ich völlig verloren. Ich wusste nicht, wo ich war. Ich suchte nach irgendetwas. Ich war sehr durstig. Das war der Anlass für mich, mich zu stellen.“

Der Verteidiger erklärt „Wir wollen es dabei belassen.“ und kündigt weitere Einlassungen zur Sache an. Der Richter würde wohl lieber wissen, wie es zu dem Ganzen gekommen ist, das sei ja nur Randgeschehen. Der Verteidiger erklärt al H. werde keine Fragen mehr beantworten.

Das Stoffgutachten

Der Richter nutzt die Zeit vor der Verhandlungspause und verliest das Stoffgutachten (forensische Textilkunde) zu der Jacke von Gregor R.. Ziele dieses Gutachtens waren zu ermitteln, ob die 4 Stoffdefekte durch Einwirkung eines Messers entstanden sind. Es geht um Rückschlüsse auf die Wucht und Kraft. Es sollte auch untersucht werden, ob es sich um Risse, Schnitte oder Stiche handelte. Zu dem Stoffgutachten werden Bilder in Augenschein genommen.

Zeuge 4

Der 39-jährige Polizist gibt an zusammen mit einem Kollegen, der damals noch in der Ausbildung war, im Spätdienst aushilfsweise in der Innenstadt von Solingen für Verkehrs- und Absperrmaßnahmen im Einsatz gewesen zu sein. Er sei zunächst von einer psychisch kranken Person ausgegangen. Sie hätten angehalten, um diese Person zu kontrollieren. Die Person habe eine Jeans mit Blutanhaftungen auf Links, die Hosentaschen nach außen, getragen. Er habe die Schneidbewegungen, die die Person mit der Hand ausgeführt habe, als Bedrohung aufgefasst und seine Dienstwaffe gezogen. Die Person habe „Kein Deutsch. Kein Deutsch!“ gerufen und den gelben Regenmantel ausgezogen. Er habe die sichtlich geschwächte Person zu Boden geführt. „Er war sehr schwach. Er stand da einfach.“. Er sei auf die Person zugegangen. Die Person sei aus einer Hecke herausgekommen. Die Person habe psychisch krank ausgesehen. Er habe Cannabisgeruch wahrgenommen. Das sei aber normal in der Innenstadt.

Der Richter möchte wissen „Hat er sich gestellt?“.
„Ich hatte eher den Eindruck, dass er wollte, dass man ihn erschießt.“ erklärt der Polizist dazu. Die Mündung seiner Pistole habe auf den Boden gezeigt. Die Person habe nichts in den Händen gehabt. Die Person sei erstmal stehengeblieben. „Wenn die Waffe in die Richtung zeigt“. Die Person sei aus einer Hecke gekommen. „Wir gingen auf ihn zu“. Die Person habe nichts gesagt.

Wann sei klar geworden, dass das er ist, möchte der Richter erfahren.
Er hat seinen Namen gesagt. Das Foto habe der Kollege abgeglichen, als er auf dem Boden lag.

Das Blaulicht sei eingeschaltet worden, weil sie auf der Straße gestanden hätten, erklärt der Polizist.

Der Verteidiger stellt noch einige Fragen zu Details insbesondere in Bezug zu einem Bericht, den der Polizist erstellt hat.

Es geht um die Frage, wo er den Bericht geschrieben habe. Der Polizist erklärt, dass er den Bericht direkt in der Nacht gegen 03:43 geschrieben habe. „Wir konnten nicht fahren ohne Bericht“. Der Bericht sei in Solingen gefertigt worden. Wenn er sich mit seiner Kennung anmelde, werde sein Dienstort übernommen.

Der Polizist bestätigt auch dem Verteidiger, dass das Blaulicht nur angeschaltet worden sei, weil sie auf der Straße gestanden hätten.

Die Person sei nicht von sich aus auf die Knie oder den Boden gegangen.

Was genau der Polizist mit aus der Hecke heraustreten meine, möchte der Verteidiger wissen.

Ob der Polizist die Person auch in die Hecke hineingehen sehen habe. „Nein“.

Der Polizist konnte sich nicht erinnern das Wort „blutüberströmt“ in dem Bericht verwendet zu haben.

Ob er die Mütze der Person als „afghanische Kopfbedeckung“ oder „typische Islamistenmütze“ bezeichnet habe, möchte der Verteidiger wissen.

Der Verteidiger stört sich an der Formulierung „Er hat es schon verstanden“.
Die Waffe habe auf ihn gezeigt. „Die Waffe soll ja auch was ausdrücken.“ erklärt der Polizist dazu. Sie hätten ja auch eher geschrien.

Zeuge 5

Der 27-jährige Polizist aus Olpe gibt an mit dem Kollegen, der zuvor ausgesagt hat, auf Streife in Solingen gewesen zu sein. Er habe auf dem Fahrersitz gesessen. Sein Kollege habe ihn auf eine Person aufmerksam gemacht. Die habe ihnen gegenübergestanden und eine Geste mit dem Daumen über die Kehle gemacht. Die Person habe „Kein Deutsch! Kein Deutsch!“ gerufen. Der Kollege habe die Dienstwaffe gezogen und sei an die Person herangetreten. Die Person habe keinerlei Widerstand geleistet. Die Person sei lethargisch gewesen und habe Schwierigkeiten gehabt auf den Beinen zu bleiben. Sie sei zittrig gewesen und sei später getragen worden. Zum ersten Mal habe er die Person neben einer Hecke auf dem Bürgersteig gesehen. Er habe sich als Fahrer auf den Verkehr konzentriert. Die Person habe einen gelben Regenmantel getragen. Er habe das Blaulicht eingeschaltet, als er geparkt habe. Die Person sei nicht weggerannt. Auch dieser Polizist meint Cannabis-Geruch wahrgenommen zu haben.

Ob die Situation bedrohlich war, möchte der Richter wissen. Der Polizist sagt, dass er zunächst von einer psychisch verwirrten Person ausgegangen sei. Als er die Blutanhaftungen gesehen habe, habe er sich gefragt „Muss ich eingreifen?“. Die Geste, die die Person ausgeführt habe, sei befremdlich gewesen. Zur Situation nach der Festnahme erklärt der Polizist, dass die Person sehr wenig Körperspannung gehabt habe und dass er die Blutanhaftungen an den Händen der Person mit Papiertüten gesichert hätte.

Der Verteidiger stellt noch einige Nachfragen in welcher Beziehung die beiden Polizisten stehen würden. Der Polizist, der damals noch in der Ausbildung war, erklärt, dass der Kollege sein Tutor gewesen sei. Sie hätten sich nur darüber unterhalten, wann wer geladen sei.

Der Verteidiger hält auch diesem Zeugen vor in einer Vernehmung die Kopfbedeckung des Angeklagten als „afghanische Mütze“ bezeichnet zu haben. Der Zeuge kann sich daran nicht erinnern.

Der Zeuge bestätigt dem Verteidiger, dass der Angeklagte die Geste [Halsabschneiden] mehrfach ausgeführt habe. Wie oft genau könne er aber nicht sagen.

Wann genau der Angeklagte die Regenjacke ausgezogen habe, könne er nicht sagen.

Der Antrag in Bezug auf die Haftbedingungen

Der Verteidiger stellt einen Antrag in Bezug auf die Haftbedingungen des Angeklagten.

Es geht um Überwachung des Schriftverkehrs (§ 119 StPO Haftgrundbezogene Beschränkungen während der Untersuchungshaft) und die Kommunikation durch eine Trennscheibe in der JVA (§ 148 StPO Kommunikation des Beschuldigten mit dem Verteidiger). Die Trennscheibe in der JVA stelle eine erhebliche Einschränkung in der Kommunikation dar und habe einen abschreckenden Effekt. Eine gemeinsame Arbeit sei so nicht möglich. Der Angeklagte sei über die Tat hinaus nicht beim IS. Er sei kein Mitglied des IS. Damit gäbe es für die Anordnungen keinen Anlass mehr.

Der Richter fragt den Vertreter des Generalbundesanwalts, ob er dazu Stellung nehmen möchte.

Der Vertreter des Generalbundesanwalts lehnt das mit der Begründung ab, dass er zu Anträgen, die nicht [öffentlich] in der Hauptverhandlung zu stellen seien, keine Stellungnahme abgeben werde. [Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 169 StPO) gilt grundsätzlich für die Hauptverhandlung selbst, nicht jedoch für prozessinterne Anträge, die die Überwachung der Kommunikation betreffen. Diese sind Teil der Untersuchungshaft und der damit verbundenen Beschränkungen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit geprüft werden.]

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