Im „Wirtschaftskrimi“ am Silbersee II, wie es Boris Riek, der aktuelle Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Lange nennt, geht es unter anderem um den Kauf einer bestehenden GmbH, der Halterner Silbersee Vermietungs GmbH. Die Halterner Silbersee Vermietungs GmbH war bis zur Kündigung des Pachtvertrages durch die Betreibergesellschaft zum 31.12.2022 der Generalpächter des Geländes am Silbersee II in Haltern am See. Die Kündigung ist aktuell Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. In einem Statement auf Instagram beklagt Boris Riek nun unter anderem einen überhöhten Kaufpreis von 1.700.000EUR für die Halterner Silbersee Vermietungs GmbH. War die GmbH der berühmte Schatz am Silbersee II? Wir gehen der Sache nach. Boris Riek sieht sich jedenfalls von seinen ehemaligen Geschäftsführern getäuscht.
Trotz sorgfältiger Recherche lassen sich Fehler nicht zu 100% ausschließen. Bitte senden Sie ggf. eine Email an hdt@gluon.press, so dass wir eine Korrektur vornehmen können. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Ermittlungsverfahren die Unschuldsvermutung gilt. Dessen Einleitung bedeutet nicht, dass der strafrechtliche Vorwurf tatsächlich zutrifft.
Der Unternehmenskauf
Der Kauf eines bestehenden Unternehmens als Ganzes, hier der Kauf einer GmbH, ist keine triviale Angelegenheit. Selbst der Kauf einer sogenannten Vorrats-GmbH kann mit Problemen einhergehen. Eine Vorrats-GmbH ist eine GmbH, die nur zum Zwecke des späteren Verkaufs gegründet wird und bis zum Verkauf keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Der Käufer spart sich so den Gründungsaufwand und damit Zeit. Der Wert so einer Vorrats-GmbH ist das eingezahlte Grundkapital und die „Gebühr“, die der Verkäufer für seinen Service berechnet. Das Risiko, dass erst nach dem Kauf versteckte Alt-Lasten oder Mängel auftreten ist bei einem seriösen Verkäufer äußerst gering, da die Vorrats-GmbH bis zum Verkauf ja eben nicht wirtschaftlich tätig war.
Das ist beim Kauf einer schon länger wirtschaftlich tätigen GmbH anders. Der Käufer wird neuer Gesellschafter der GmbH. Auf die bestehenden Forderungen, Verbindlichkeiten und Verträge der GmbH hat das keinen Einfluss. Das kann ein Segen sein, aber eben auch ein Fluch. Der Käufer kann so das komplette Geschäft der GmbH ohne großen Aufwand einfach weiter führen. Wie es aber auch ausgehen kann, hat man beim Kauf von Monsanto durch die Bayer AG beobachten können.
Im Gegensatz zum angelsächsischen Rechtsgrundsatz „Caveat emptor“, wo der Käufer das Risiko, dass der Kaufgegenstand frei von offenen Sach- und Rechtsmängeln ist, trägt, ist in Deutschland das Kaufrecht gemäß § 433 BGB ff. unmittelbar anwendbar, da es nicht nur den Kauf einer Sache, sondern auch den Kauf von „sonstigen Gegenständen“ regelt (§ 453 Abs. 1 BGB), zu denen auch Unternehmen als Ganzes gehören. Auch wenn in Deutschland die rechtliche Stellung des Käufers etwas besser zu sein scheint als im angelsächsischen Recht, wird bei einem Unternehmenskauf meist eine Due Diligence Prüfung durchgeführt. Das Ergebnis der Due Diligence Prüfung fließt dann in die Unternehmensbewertung ein.
Wie kann man nun den Kaufpreis für ein Unternehmen ermitteln?
Für die Bestimmung des Kaufpreises gibt es mehrere einfache Bewertungsmethoden, die aber alle nur einen Anhaltspunkt liefern. Man unterscheidet das Substanzwertverfahren und verschiedene Ertragswertverfahren.
Das Substanzwertverfahren
Die einfachste Methode den Wert eines Unternehmens zu bestimmen ist das Substanzwertverfahren. Der Substanzwert eines Unternehmens ergibt sich vereinfacht aus der Summe der Einzelwerte aller betrieblichen Vermögensgegenstände zum Bewertungsstichtag abzüglich der Schulden und Rückstellungen.
Die Ertragswertverfahren
Bei den Ertragswertverfahren stützt man sich auf die vom Unternehmen erzielbaren Erträge. Diese werden in Bezug zum Zinssatz einer risikolosen Kapitalanlage gesetzt. Am Ende wird der jährlich erzielbare Ertrag mit einem Faktor multipliziert. Die Ertragswertverfahren unterscheiden sich im Wesentlichen in der Art ob und wie vergangene und zukünftige Gewinne in die Berechnung mit einfließen.
Das vereinfachte Ertragswertverfahren entstammt dem deutschen Steuerrecht. Der Gewinn der letzten drei Jahre wird korrigiert, aufsummiert, durch 3 geteilt und pauschal mit 30% versteuert. Dieser nachhaltige Gewinn wird derzeit mit einem Kapitalisierungsfaktor von 13,75 multipliziert, was einem Kalkulationszins von 7.27% entspricht. Der Kapitalisierungsfaktor kann durch den Kehrwert des Kalkulationszinses berechnet werden und vice versa.
Für eine realistischere Bewertung sollte man aber eher von einem Kalkulationszins von 20% ausgehen. Bei dem vereinfachten Ertragswertverfahren zahlt der Käufer schließlich fast das 14-fache eines Jahresgewinns.
Wir verweisen hier auf den KMU-Rechner, der weitere Faktoren mit einbezieht. Der Leser kann hier selbst online einige Beispielrechnungen ausführen.
Die Vorgeschichte
Zu der Halterner Silbersee Vermietungs GmbH gibt es wohl eine Vorgeschichte, die man leicht übersehen kann, da sie schon so lange zurückliegt und nur über die handelnden Akteure und den Ort des Geschehens eine Verbindung hergestellt werden kann. 2007 gründen Helmut K. und Udo M. die Halterner Silbersee Gastronomiegesellschaft mbH & Co. KG. 2009 kommt Christian Johann S. als zusätzlicher Kommanditist dazu. Im selben Jahr gründen Helmut K., Udo M. und Christian Johann S. die Halterner Silbersee Vermietungs GmbH. 2013 wird über die Halterner Silbersee Gastronomiegesellschaft mbH & Co. KG ein Insolvenzverfahren eröffnet, das im Jahr 2019 aufgehoben wird. 2020 wird die Halterner Silbersee Gastronomiegesellschaft mbH & Co. KG wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht. Alle uns bekannten und nachvollziehbaren Ereignisse haben wir in der Rahmenhandlung zusammengefasst.
Die Bilanzen
Auf Grund der aktuellen Situation betrachten wir hier mehr als die letzten drei Bilanzen der Halterner Silbersee Vermietungs GmbH. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf einige Auffälligkeiten. Leider ist der Anhang der Bilanzen über die Zeit nicht einheitlich. Teils fehlt der Anhang komplett. Die Bilanzen kann man im Bundesanzeiger oder Unternehmensregister öffentlich einsehen.
In den Jahren 2009 bis 2010 laufen kleinere Verluste auf, die aber schon das in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital fast vollständig abschmelzen.
Im Jahr 2011 wird in der Bilanz erstmals ein „Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ ausgewiesen. Dieser steigert sich von 81.631,56 EUR im Jahr 2011 auf 368.195,83 EUR im Jahr 2014.
Im Anhang der Bilanz von 2014 wird eine bilanzielle Überschuldung erwähnt, was einen Insolvenzantrag hätte notwendig machen können. Allerdings ergab eine Fortführungsprognose, dass die Fortführung der Unternehmenstätigkeit überwiegend wahrscheinlich ist.
Von 2014 bis 2017 wird der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag kontinuierlich auf 187.848,24EUR reduziert.
Im Jahr 2016 wird im Anhang der Bilanz ein Anlagenspiegel angegeben.
Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremden Grundstücken werden mit Herstellungskosten/Anschaffungskosten von 594.920,42EUR angegeben.
andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung werden mit Herstellungskosten/Anschaffungskosten von 68.076,64EUR angegeben.
Im Jahr 2018 wird der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag abrupt auf 0EUR reduziert. Zusätzlich werden die Verbindlichkeiten von 703.323,23EUR auf 413.390,41EUR reduziert.
Im Jahr 2020 erhöht sich
das Anlagevermögen von 353.211,00EUR auf 787.297,93EUR,
das Umlaufvermögen von 108.778,51EUR auf 661.354,96EUR und
das Eigenkapital von 60.939,63EUR auf 1.042.568,37EUR.
Die Verbindlichkeiten bleiben aber bei etwa 400.000EUR.
Hier dürfte die Unternehmensgruppe Lange die Vermietungsgesellschaft mit frischem Kapital ausgestattet haben.
Die Bilanzdaten
Wir haben hier die Bilanzdaten in Kurzform als Tabelle zusammengestellt.
2009 | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | |
AKTIVA | ||||||
A. Anlagevermögen | 334.028,56 | 610.151,00 | 581.841,00 | 544.028,00 | 504.587,00 | 480.646,00 |
B. Umlaufvermögen | 114.971,64 | 167.886,33 | 181.479,59 | 115.984,67 | 73.787,26 | 14.523,85 |
C. Fehlbetrag | 0,00 | 0,00 | 81.631,56 | 155.679,93 | 182.585,45 | 368.195,83 |
Summe AKTIVA | 449.000,20 | 778.037,33 | 844.952,15 | 815.692,60 | 760.959,71 | 863.365,68 |
PASSIVA | ||||||
A. Eigenkapital | 40.044,13 | 2499,87 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
B. Rückstellungen | 1.000,00 | 2.000,00 | 3.000,00 | 5.000,00 | 2.500,00 | 41.949,29 |
C. Verbindlichkeiten | 407.956,07 | 773.537,46 | 841.952,15 | 810.692,60 | 758.459,71 | 821.416,39 |
Summe PASSIVA | 449.000,20 | 778.037,33 | 844.952,15 | 815.692,60 | 760.959,71 | 863.365,68 |
Jahresüberschuss | -10.955,87 | -37.544,26 | -84.131,43 | -74.048,37 | -26.905,52 | -185.610,38 |
Verlustvortrag | 0,00 | -10.955,87 | -48.500,13 | -132.631,56 | -206.679,93 | -419.195,83 |
–
2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | |
AKTIVA | ||||||
A. Anlagevermögen | 447.105,00 | 407.112,00 | 423.102,00 | 392.049,00 | 353.211,00 | 787.297,93 |
B. Umlaufvermögen | 33.180,73 | 144.479,06 | 107.874,95 | 73.910,21 | 108.778,51 | 661.354,96 |
C. Fehlbetrag | 308.370,76 | 230.066,69 | 187.848,24 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
C. Rechnungsabgrenzungsposten | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. | 0,00 | 4669,68 |
Summe AKTIVA | 788.656,49 | 781.657,75 | 718.825,19 | 465.959,21 | 461.989,51 | 1.453.322,57 |
PASSIVA | ||||||
A. Eigenkapital | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 12.946,81 | 60.939,63 | 1.042.568,37 |
B. Rückstellungen | 7.209,12 | 11.835,12 | 15.501,96 | 39.621,99 | 12.407,00 | 8.767,00 |
C. Verbindlichkeiten | 781.447,37 | 769.822,63 | 703.323,23 | 413.390,41 | 388.642,88 | 401.987,20 |
Summe PASSIVA | 788.656,49 | 781.657,75 | 718.825,19 | 465.959,21 | 461.989,51 | 1.453.322,57 € |
Jahresüberschuss | 44.825,07 | 93.304,07 | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. |
Verlustvortrag | -374.370,76 | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. |
Der Kaufpreis
Wir ermitteln nun den Unternehmenswert mit den oben beschriebenen Methoden. Diese liefern, wie gesagt, nur einen esten Anhaltspunkt.
Nach dem Substanzwertverfahren wäre die Vermietungsgesellschaft Ende 2019 ca. 60.000EUR wert gewesen. Das allein ist sicher nicht aussagekräftig.
Der höchste in den Bilanzen erkennbare Gewinn lag bei ca. 100.000EUR im Jahr 2016. Wie hoch der Gewinn in den letzten drei Jahren vor dem Kauf war, können wir nicht zweifelsfrei ermitteln.
Nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ergäben sich aus einem angenommenen 100.000EUR Gewinn nach Steuern pro Jahr 100.000EUR x 13,75 = 1.375.000EUR. Wobei das vereinfachte Ertragswertverfahren allgemein als sehr „optimistisch“ angesehen wird, immerhin zahlt der Käufer dann fast das 14-fache eines Jahresgewinns.
Bei einem Kalkulationszinssatz von 20% ergibt sich bei einem Gewinn von 100.000EUR die folgende Rechnung: 100.000EUR x 1 / 20% = 500.000EUR.
Ein Kaufpreis von 1.700.000EUR würde nach dieser Formel einen Gewinn von etwa 340.000EUR pro Jahr voraussetzen.
Alle Berechnungen setzen voraus, dass der Pachtvertrag mit der Betreibergesellschaft noch eine längere Laufzeit hat. Die Restlaufzeit des Pachtvertrages hat ggf. auch Auswirkungen auf die Bewertung der auf dem Pachtgrundstück errichteten Immobilie. Sollte im Pachtvertrag ein Rückbau des Gebäudes vereinbart sein, ist es am Ende der Laufzeit wohl nicht mehr soviel wert.
Hier nochmal der Hinweis auf den KMU-Rechner. Mit diesem Online-Rechner kann der Leser selbst verschiedene Szenarien durchrechnen.