Am 29. Prozesstag gegen die 5 fünf angeklagten Polizisten im Fall Mouhamed Dramé beginnt Staatsanwalt Carsten D. mit einführenden Worten zum eigentlichen Plädoyer, welches die Staatsanwältin im Anschluss vorträgt.
Stereotype
Nach dem Tod Mouhamed Dramés seien reflexartig rechte wie linke Stereotype aufgetreten. Es geht um Rassismus oder um Aussagen wie „Was läuft der mit einem Messer auf einen zu?“. Niemand kennt die Angeklagten, keiner kennt die Akten. Jeder hat Vorwürfe.
Der Staatsanwalt stellt klar fest, dass man keinen Rassismus habe feststellen können. Man habe die Chatverläufe der Angeklagten ausgewertet.
Ebenso stellt er klar, dass keine Notwehr vorgelegen habe. Er begegnet weiterhin dem Vorwurf, dass die Polizei Recklinghausen nicht neutral gewesen sei. „Falsch, absolut falsch!“. Die Staatsanwaltschaft sei von der Polizei Recklinghausen angerufen worden. „Da stimmt was nicht!“.
Dann räumt er mit dem Vorwurf auf die Anklage sei erst „auf Druck der Straße“ erhoben worden. „Ich habe keinen gespürt!“. Die Anklageschrift sei alternativlos gewesen. Die Anklage sei nicht von Vorgesetzten angewiesen worden. „Keiner hat mich angewiesen!“. „Ich unterschreibe nichts, wo ich nicht dahinterstehe!“.
Was ist Gerechtigkeit?
In Anlehnung an den Slogan „justice vor Mouhamed“ erklärte der Staatsanwalt Gerechtigkeit sei nicht Rache, sondern Recht. „Wir sind nicht dafür da, das Gerechtigkeitsempfinden jedes einzelnen zu erfüllen!“. Das Gerechtigkeitsempfinden jedes einzelnen sei unterschiedlich.
Der Vorgang
Dann lässt der Staatsanwalt die Geschehnisse teilweise sekundengenau Revue passieren. Mouhamed habe tags zuvor in der Polizeiwache Nord Hilfe erhalten und sei in eine LWL-Klinik verbracht worden. Dass er dort nicht geblieben sei, sei Schicksal. Eine Stunde vor dem tragischen Vorfall gab es ein Telefonat mit der Jugendhilfeeinrichtung gegeben. „Das Messer legst du aber weg!“. Ist man da der notwendigen Fürsorge nachgekommen?
Der Staatsanwalt wirft dem Dienstgruppenleiter vor den Plan gefasst zu haben, ohne die Lage genau zu kennen. Dem Dienstgruppenleiter sei bekannt gewesen, dass das eingesetzte RSG8 nicht wirken könnte. Handlungsalternativen keine! Die Polizistin, die das Pfefferspray eingesetzt, habe keine Zeit für Gedanken über die Rechtsfolgen gehabt. Sie habe dem Dienstgruppenleiter vertraut. Der habe keine Neubewertung der Lage vorgenommen. Es sei das umgesetzt worden, was besprochen war. Die Polizisten, die die DEIG eingesetzt haben, davon aus, dass der Einsatz zum Schutz der Kollegen notwendig war. Der Einsatz der MP5 spiele keine Rolle, da es sich um das identische Kaliber zur normalen Polizeipistole handele. Man könne nur besser zielen. Der Schütze habe gelernt so lange zu schießen, bis eine Reaktion erfolgt. Das sei die einzige Möglichkeit.
Nicht die Gruppe
In dem Prozess gehe es darum jedem einzelnen der angeklagten Polizisten eine Schuld nachzuweisen und nicht der Gruppe oder gar der Polizei.
Die Staatsanwältin
Dann trägt die Staatsanwältin die genaue rechtliche Bewertung in einem Tempo vor, dass selbst einem der Verteidiger etwas zu schnell geht.
Der Dienstgruppenleiter
Bei dem Dienstgruppenleiter geht es um § 357 StGB Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat. Bei der Straftat geht es hier um § 229 Fahrlässige Körperverletzung. Der Einsatz des RSG8 sei rechtswidrig gewesen. Die Lage sei statisch gewesen. Es habe nur eine abstrakte und keine konkrete Gefahr gegeben, dass Mouhamed sich selbst tötet. Zudem sei es vorhersehbar gewesen, dass Mouhamed durch den Einsatz von Pfefferspray das Messer nicht fallen lassen würde. Damit entfällt eine Rechtfertigung gemäß § 8 PolG NRW.
Der Antrag der Staatsanwältin 10 Monate zur Bewährung und eine Zahlung von 5.000EUR an eine Einrichtung in Dortmund.
Der RSG 8 Einsatz
Die Polizistin, die das RSG8 eingesetzt hat, handelte auf Anweisung des Dienstgruppenleiters gemäß § 59 (1) PolG NRW Handeln auf Anordnung. Nach § 59 (2) PolG NRW Handeln auf Anordnung hätte sie aber die Anordnung nicht befolgen dürfen, da diese rechtswidrig war.
Die Staatsanwältin führt hierzu aus, dass die Polizistin die Rechtswidrigkeit in der konkreten Einsatzsituation nicht habe erkennen können. Sie habe keinen Überblick über die Gesamtlage gehabt. Sie durfte sich auf die Einschätzung des Dienstgruppenleiters verlassen. Der Einsatz des RSG8 war auch nicht offensichtlich rechtswidrig, da das mildeste Mittel.
Der Antrag der Staatsanwältin daher Freispruch.
Die MP5 und die DEIG
Sowohl der Schütze mit der MP5 als auch die Polizisten, die die DEIG eingesetzt haben, unterlagen laut Staatsanwaltschaft einem Erlaubnistatbestandsirrtum. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass faktisch keine Notwehrsituation gemäß § 32 oder §34 StGB vorgelegen habe. Mouhamed hatte keinen Grund die Beamten anzugreifen. Es sei also hinreichend wahrscheinlich gewesen, dass kein Angriff von Mouhamed vorlag. Es habe nur den Verdacht einer Gefahr gegeben. Die Beamten hätten aber irrigerweise angenommen, dass eine solche Notwehrsituation vorliege. Dieser Irrtum sei in der konkreten Situation nicht vermeidbar gewesen. Es gab auch keine Zeit den Sachverhalt zu prüfen.
Für die drei Angeklagten ergibt sich aus § 16 StGB Irrtum über Tatumstände dann jeweils der Antrag der Staatsanwältin auf Freispruch.
Disclaimer
Trotz sorgfältiger Recherche lassen sich Fehler nicht zu 100% ausschließen. Bitte senden Sie ggf. eine E-Mail an hdt@gluon.press, so dass wir eine Korrektur vornehmen können. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Ermittlungsverfahren die Unschuldsvermutung gilt. Dessen Einleitung bedeutet nicht, dass der strafrechtliche Vorwurf tatsächlich zutrifft.