Heute lassen sich der Einsatzleiter und ein Polizist, der einen DEIG (Taser) eingesetzt hat, zur Sache ein. Beide lassen keine von ihren Anwälten vorgefertigte Erklärung verlesen, sondern geben die Geschehnisse frei aus ihrer Sicht wieder und antworten auch auf Nachfragen von Richter, Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Zunächst machen sie Angaben zur Person. Der angeklagte Einsatzleiter ist seit 1985 bei der Polizei und seit 2011 Dienstgruppenleiter. Er koordiniert Einsätze vor Ort. Der Polizist, der den Taser eingesetzt hat, ist seit 2005 bei der Polizei arbeitet seit 8 Jahren mit dem Dienstgruppenleiter zusammen.
Beide Polizisten geben den Hergang so wieder, wie ihn die bisherigen Zeugen geschildert haben. Einzig der Einsatzleiter macht leicht abweichende Angaben zum Ort, wo Mouhamed zu Boden gegangen ist. Der Einsatzleiter gibt an, dass er festgelegt habe, wer welche Einsatzmittel (RSG8, DEIG, MP5, Medi Pack) nutzen sollte. Die DEIG und die MP5 seien nur zur Eigensicherung eingesetzt worden. Nachdem der Versuch der Kontaktaufnahme mit Mouhamed erfolglos war, habe er den Einsatz des RSG8 per Funk als auch per Zuruf angeordnet. Das RSG8 sei wegen der größeren Reichweite eingesetzt worden. Der Einsatz des Pfeffersprays sei nicht angedroht worden. Mouhamed habe aber erkennen können, dass Polizei vor Ort war, da es am Einsatzort durch den nicht nur einsatzbezogenen Funk und die Zurufe der Polizisten untereinander sehr laut war.
Der Polizist, der den Taser eingesetzt hat, gibt an, diesen eigenständig eingesetzt zu haben, nachdem sich Mouhamed, getroffen vom Pfefferspray, schnell in Bewegung gesetzt habe. Er habe nicht absehen können, was Mouhamed mit dem Messer vorhabe. Er habe sogar einen zweiten Stromstoß ausgelöst, nachdem Mouhamed auf den Taser nicht wie erwartet reagiert habe.
Beide Polizisten wurden zu ihren Erfahrungen bei Einsätzen mit suizidalem Hintergrund befragt. Sie gaben hierzu an etwa 20 Einsätze pro Jahr gehabt zu haben und bei 3 bis 4 von diesen auch erfolgreich Pfefferspray eingesetzt zu haben. Sie geben weiterhin an, dass Pfefferspray bei einigen Menschen wenig, bis keine Wirkung haben könne. Die Dauer der Wirkung sei ebenso nicht genau vorherzusagen. Beide Polizisten halten das Pfefferspray aber für ein geeignetes Mittel in Bezug auf den Einsatz bei einer suizidgefährdeten Person, falls andere Möglichkeiten ausgeschöpft oder nicht möglich seien. Mouhamed durch Ansprache zur Aufgabe zu bewegen habe nicht funktioniert. Da er mit dem Rücken zur Wand stand, fehlte das Überraschungselement für andere Maßnahmen.
Der immer wiederkehrende Einwurf der Nebenklage man hätte die Lage statisch halten können verfing beim Einsatzleiter nicht. „Was soll ich statisch halten? Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen da 12 Polizisten rum?“.
Beide Polizisten bewerten den Einsatz als für sie „gut gelaufen“ und „rechtlich ok“, Bedenken in Bezug auf die Einsatztaktik habe es nicht gegeben.
Die Befragung der Polizisten durch die Anwältin und den Anwalt der Nebenklage sorgt wieder für einen Eklat. Immer wieder gibt es Vorhaltungen aus Vernehmungsprotokollen, wo die Angeklagten noch als Zeugen und nicht als Beschuldigte vernommen wurden. Diese dürfen aber nicht als Beweismittel verwertet werden. Der Vorschlag die Fragen doch ohne Vorhalt zu stellen, wird von der Nebenklage nicht angenommen. Der Richter erwartet wohl einen entsprechenden Antrag der Nebenklage diese Vernehmungsprotokolle doch als Beweismittel zuzulassen und kündigt schon im Vorfeld an diesen abzulehnen. Die Anwältin der Nebenklage trägt dann auch minutenlang eine vorbereitete Erklärung vor und bezieht sich u.a. auf den europäischen Gerichtshof. Am Ende „vergisst“ sie wohl den Antrag auch formal zu stellen, so dass der Richter „etwas nachhelfen“ muss. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigt das Beweisverwertungsverbot für die besagten Vernehmungsprotokolle.*
* Update 22.05.2024
Am 13. Prozesstag begründet der Richter die Ablehnung des Antrags der Nebenklage die Vernehmungsprotokolle als Beweismittel zuzulassen recht ausführlich. Insbesondere gibt er den Hinweis, dass er durch die Vernehmungsprotokolle keine wesentlichen neuen Erkenntnisse erwartet. Die Nebenklage hätte aber die Möglichkeit dies im Einzelfall aufzuzeigen.
Wie geht es weiter
Beim nächsten Verhandlungstermin im Mai will sich nach Aussage seines Anwalts auch der Schütze zum Geschehen äußern. Er ist wegen Totschlags angeklagt.
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