Amtsgericht Springe – Der „Lappen“-Prozess

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Daniel K. hat Widerspruch gegen einen Strafbefehl wegen Beleidigung (§185 StGB) eingelegt, daher findet nun eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Springe statt. Der Angeklagte macht Angaben zu seiner Person. Er macht aber keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, was bei einer möglichen Verurteilung Auswirkungen auf die Höhe der Tagessätze hat.

Der Strafantrag

Bevor es richtig los geht, überrascht der Verteidiger mit einem Antrag auf Nichtverlesung des Strafbefehls. Es fehle an einem wirksamen Strafantrag. Die Anwaltskanzlei, die den Strafantrag für den Betroffenen gestellt hat, habe keine schriftliche Vollmacht vorgelegt. Weiter bezweifelt der Verteidiger, dass der Betroffene den Post des Angeklagten und damit eine mögliche Beleidigung überhaupt wahrgenommen habe. Der Verteidiger bezweifelt auch, dass „Lappen“ überhaupt eine Beleidigung sei. Er wundere sich, dass zum Prozess keine Zeugen geladen seien. Die Richterin bestätigt, dass dem Strafantrag keine schriftliche Vollmacht beiliege.
„Beschlossen und verkündet, der Strafantrag wird verlesen.“

Beleidigung ist ein sogenanntes absolutes Antragsdelikt. Fehler bei der Stellung des Strafantrags haben oftmals die fatale Konsequenz, dass die Verfolgung der Straftat, hier Beleidigung, ausgeschlossen ist.
Im Fall des Klimaklebers Malte N. wurden jedenfalls Strafanträge, die Mitarbeiter einer Stadt/Firma ohne entsprechende Vollmacht gestellt hatten, als nicht wirksam bewertet. In einer Organisation ist es also empfehlenswert, dass nur der gesetzliche Vertreter (z.B. ein Geschäftsführer) einen Strafantrag stellt, soweit die Stadt/Firma betroffen ist.
Ein Rechtsanwalt kann für seinen Mandanten einen Strafantrag stellen. Die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht ist aber wohl grundsätzlich nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit des Strafantrags, solange keine Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen oder diese nicht ausdrücklich angefordert wird.

Der Angeklagte soll laut Strafbefehl am 4.1.2024 auf X (Twitter) einen Post mit dem Inhalt „Heul leise du Lappen. Das ist erst der Anfang.“ veröffentlicht haben, um den Betroffenen, Dr. Janosch D., in der ihm zustehenden Ehre herabzusetzen, strafbar nach §§ 185, 194 StGB.

Interessant ist hier, dass der Strafbefehl auf § 185 StGB beruht und nicht auf § 188 StGB!

Die Beweisaufnahme

Der Angeklagte erklärt, dass er sich selbst nicht äußern werde.

Die Richterin erläutert den Kontext, in dem der Post veröffentlicht wurde. Der Betroffene hatte in seinem Post Bezug auf den angeblichen Angriff gegen Wirtschaftsminister Habeck in Schlüttsiel genommen. Am 4. Januar 2024 schrieb der Betroffene: „Ich mag mir die Sorgen von Robert #Habeck seiner Familie & den Sicherheitsbehörden angesichts solcher Situationen nicht ausmalen. Derartige Versuche, sich mit Lautstärke & Einschüchterung in unserer Demokratie durchzusetzen, müssen aufhören!“. Darauf soll der Angeklagte geantwortet haben.

Der Verteidiger merkt an „Wir wissen über Herrn D. nichts!“. Der Staatsanwalt entgegnet das sei nicht erforderlich. „Wir haben einen Strafantrag!“.

Der Verteidiger zieht nun wieder den Strafantrag in Zweifel. „Das ist ein höchst persönliches Recht!“.

Die Richterin verliest den Bundeszentralregisterauszug ohne Eintragungen.

Die Richterin erläutert, wie man den Angeklagten als Besitzer des X Profils identifiziert hat. Dies geschah wohl über ein Autokennzeichen, dass auf Instagram gepostet wurde und dem Profilbild auf X. Der Verteidiger widersprach der Verlesung entsprechender Dokumente. Der Verteidiger zog in Zweifel, dass der Angeklagte Eigentümer des X Profils sei. Der Staatsanwalt führt an, dass auf dem X Profil doch der Prozess mit „Der Lappen-Prozess beginnt!“ angekündigt wurde und ein entsprechendes persönliches Dokument veröffentlicht wurde.

Der Verteidiger führt noch ein Interview im ÖRR an, in dem Donald Trump „Waschlappen“ genannt wurde, um seine These „Lappen“ sei keine Beleidigung zu belegen.

Die Richterin schließt die Beweisaufnahme.

Das Plädoyer des Staatsanwalts

Der Angeklagte sei überführt. Auf dem Profilbild erkenne man den Angeklagten wieder. Der Staatsanwalt sieht eine Beleidigung als gegeben an, auch wenn sich ein Politiker vielleicht mehr gefallen lassen müsse. Der Staatsanwalt sieht die 30 Tagessätze a 60 EUR aus dem Strafbefehl als Tat und Schuld angemessen an.

Das Plädoyer der Verteidigung

Der Verteidiger gibt sich nochmals verwundert, dass es hier zu einem Strafverfahren gekommen ist. Er spielt wieder auf die fehlende Vollmacht für den Strafantrag an. Es hätte nicht ermittelt werden dürfen. Es bestehe auch kein öffentliches Interesse. Es gäbe keine Beweise, dass sein Mandant das so gemacht habe. „Sie müssen das herleiten können!“ und nicht „Das passt ja schon!“. Der Verteidiger zieht in Zweifel, dass „Lappen“ eine Beleidigung sei. Dass müssen Politiker aushalten. Politiker hätten wenig Rückgrat. Warum sollte der Betroffene das als Beleidigung empfunden haben? „Politiker müssen das locker wegstecken!“. „Wir haben von dem Herrn D. nichts!“

Der Verteidiger fordert Freispruch für den Angeklagten. Der Angeklagte schließt sich den Ausführungen seines Verteidigers an.

Das Urteil

30 Tagessätze a 60 EUR.

Da der Angeklagte keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht hat, sind die 60 EUR eine „Schätzung“.
„Das Profilbild sieht genauso aus wie Sie!“. Es handele sich rechtlich um eine Beleidigung, so die Richterin.
Gegen das Urteil gibt es Rechtsmittel Berufung oder Revision.

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