Am Freitag, den 23. August 2024, gegen 21:30 Uhr starben drei Menschen bei dem Messerangriff auf einem Stadtfest mit dem Motto: „Fest der Vielfalt“ in Solingen. Zehn weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Der geständige Angeklagte Issa Al H. muss sich dafür vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht verantworten.
Am 18. Prozesstag verkündet Richter Winfried van der Grinten das Urteil. Im Gegensatz zu den sonstigen Terminen hat sich der Zuschauerraum mit zahlreichen Pressevertretern und Besuchern gefüllt.
Das Urteil
Der Tenor
Das Gericht verurteilt den Angeklagten wegen 3-fachem Mordes [2 davon in Tateinheit] und 10-fachem versuchtem Mord zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Die besondere Schwere der Schuld wird festgestellt.
Sicherungsverwahrung wird angeordnet.
Das Mobiltelefon [Samsung S23] wird eingezogen.
Dem Angeklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Der Angeklagte wird zu Schmerzensgeldzahlungen von insgesamt 360.000EUR verurteilt. Die Einzelbeträge schwanken zwischen 30.000 und 120.000EUR.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Urteilsbegründung
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Angeklagte als Mitglied des IS drei Menschen mit Heimtücke getötet und 9 weitere verletzt habe, bis er auf Widerstand gestoßen sei. Als der Angeklagte erkannt habe, dass er überwältigt werden könnte, sei er geflohen.
Richter Winfried van der Grinten bedankt sich bei der Polizei für die umfangreiche Ermittlungsarbeit. Das Handy Xiaomi sei komplett zerstört gewesen.
Wie es zu dieser Tat kommen konnte, sei nicht aufgeklärt worden. Teilweise habe der Angeklagte auch gelogen.
Der Richter geht auf die Herkunft des Angeklagten ein. Er habe seine Jugend im Bürgerkrieg in Syrien verbracht. Entgegen seinen Angaben sei er nicht direkt zu den Kurden geflohen. Er habe gegenüber dem IS zumindest loyal gegenübergestanden und als zuverlässig gegolten. Für eine Mitgliedschaft im IS [zu diesem Zeitpunkt] gäbe es aber keine Anhaltspunkte. Er sei eher ein „Munasir“, ein Unterstützer des IS ohne Gefolgschaftseid gewesen.
Der Angeklagte sei Gewalt gegenüber abgestumpft. Er habe beim Anblick von Opfern von Gewalt sein Brötchen einfach weiter gegessen, habe er dem Gutachter erzählt.
Aber nicht jeder werde zum Attentäter erklärt Richter van der Grinten. Der Angeklagte habe sich seit 2019 massiv radikalisiert. Bereits seit Ende 2016 gäbe es auf seinem Mobiltelefon jihadistische Inhalte. Seit April 2023 habe er nach IS-Medien gesucht. Seit Juni 2024 habe der Angeklagte selbst Propaganda [Gewaltvideos des IS] verbreitet.
Seit 2014 sei es die Strategie des IS durch das Model der begleiteten Anschläge Reaktionen gegen Muslime zu provozieren. Der IS unterhalte eigene Teams in den sozialen Medien [Telegram], die auf mögliche Täter Einfluss nähmen. Die Muslime sollten den Ungläubigen das Tor zur Hölle öffnen.
Aus den Chatverläufen sei ersichtlich, dass der Angeklagte für IS-Frauen in Syrien habe spenden wollen. Es ging um sein komplettes Monatsgehalt von 1.000EUR.
Der Angeklagte habe die Mitgliedschaft beim IS von sich gewiesen. Er habe erklärt, sein Gehirn sei bearbeitet worden, er habe kommuniziert, ohne den Inhalt verstanden zu haben und seine Videos seien ohne sein Wissen weitergeleitet worden.
„Das gab es nicht!“ erklärt Richter van der Grinten.
Der Angeklagte habe selbst die Initiative ergriffen. Im Chat habe er den Admin des Chatkanals sprechen wollen. Er habe handschriftlich auf ein Foto geschrieben [, um eine Entdeckung durch Nachrichtendienste zu erschweren]. Er habe das Video mit dem Treueeid, der Voraussetzung für die Aufnahme in den IS ist, aufgenommen. Er habe Ratschläge zur Tatwaffe bekommen. Sein Chat-Partner sei ohne Zweifel ein autorisiertes Mitglied des IS gewesen. Der Angeklagte habe das Ziel ausgewählt. [Er hatte zunächst geplant ein Molotow-Cocktail auf die israelische Botschaft in Berlin zu werfen, dann aber das Stadtfest ausgewählt.] Er sei nicht von außen manipuliert worden. Seine Einlassung zu Gaza seien allenfalls ein Begleitmotiv. In Chats habe der Angeklagte erklärt, dass er Rache nehmen wolle für Al-Baghuz. Der Angeklagte habe in den Chats sein wahres Gesicht gezeigt. Es sei um Rache für Gefallene des IS gegangen. „Ich werde euch in Stücke reissen.“, „Ich habe mich für die Tat entschieden“.
Der Angeklagte habe genau gewusst, wem er die Treue schwor! Er habe gewollt, dass der IS die Tat für sich reklamiert. Damit sei der Angeklagte Mitglied des IS geworden.
Die extremistische Tatmotivation und willkürliche Auswahl der Opfer sei untere Stufe, daher handele es sich um Mord! [Es geht hier um die niederen Beweggründe!]
Der Angeklagte habe die Taten eingeräumt. Es gäbe das Video wo zu sehen ist wie er das Messer erwirbt. Es gäbe ein Video, das einen Teil des Tathergangs zeigt.
Alle Opfer seien arglos und wehrlos gewesen! Keines der Opfer habe mit einem Angriff gerechnet. [Es geht hier um die Heimtücke, der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer.] Die Tat habe insgesamt nur etwa 2 Minuten gedauert.
Die Taten im Detail
Für die Einzelstrafen sind die folgenden §§ relevant.
§211 StGB Mord
§ 23 StGB Strafbarkeit des Versuchs
§ 224 StGB Gefährliche Körperverletzung
§ 52 StGB Tateinheit
Florian H. und Stefan S.
Da nur Sekundenbruchteile später ein zweiter Schnitt erfolgte, seien diese zwei Morde tateinheitlich begangen worden.
Einzelstrafe: Lebenslange Freiheitsstrafe.
Der Richter erläuterte, dass eine verminderte Schuldfähigkeit nicht vorläge. Der Angeklagte habe dem Gutachter wahnhaftes Erleben vorgegaukelt. Er habe sich das ausgedacht, wie etwas, dass er in einem Film gesehen haben könnte. Verblendung sei keine Krankheit.
H.
Versuchter Mord tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung.
Der Angeklagte sei nicht vorbestraft. Es habe keine konkrete Lebensgefahr bestanden, wenngleich die Vorgehensweise gefährlich war.
Einzelstrafe: 10 Jahre Freiheitsstrafe
Lea und Bärbel V.
…
Die Einzelstrafe: Lebenslange Freiheitsstrafe
Von der Möglichkeit der Strafmilderung habe das Gericht keinen Gebrauch gemacht.
Michael W.
Versuchter Mord
Einzelstrafe: Lebenslange Freiheitsstrafe
Ines W.
Mord
Einzelstrafe: Lebenslange Freiheitsstrafe
Jürgen R.
Versuchter Mord tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung
Einzelstrafe: 10 Jahre Freiheitsstrafe
Volker E.
Der Angeklagte habe 4-mal zugestochen. Die Verletzungen seien akut lebensbedrohlich gewesen.
Versuchter Mord tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung
Einzelstrafe: …
Gregor K.
Versuchter Mord
Einzelstrafe: 7 Jahre Freiheitsstrafe
Hendrik N. und Michael T.
2-facher versuchter Mord tateinheitlich
Das Gericht habe von der Möglichkeit der Strafmilderung Gebrauch gemacht.
Einzelstrafe: 11 Jahre Freiheitsstrafe
Robert K.
Robert K. sei [als einziger] nicht arglos gewesen!
Die Verletzungen seien nicht akut lebensbedrohlich gewesen.
Einzelstrafe: 11 Jahre
Richter van der Grinten macht noch darauf Aufmerksam, dass nicht nur die konkret Angegriffenen betroffen seien. Ein Rettungssanitäter, der privat auf der Veranstaltung war, könne 1 Jahr später noch nicht wieder arbeiten.
Die Gesamtfreiheitsstrafe
Aus den Einzelstrafen hat das Gericht eine Gesamtstrafe gebildet.
Der Angeklagte wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Die besondere Schwere der Schuld wird festgestellt.
Die Sicherungsverwahrung wird angeordnet.
Laut dem Gutachter sei der Angeklagte fasziniert von Gewalt. Kennzeichen für eine Abkehr habe der Angeklagte nicht gezeigt. Der Angeklagte sei für die Allgemeinheit gefährlich. Er werde seine Einstellung nicht ändern. Mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach (§ 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) gehe die Notwendigkeit einer sozialtherapeutischen Behandlung einher.
„Herr H., wenn jemand auf Sie zukommt, …“ Der Richter legt dem Angeklagten nahe das Angebot der sozialtherapeutischen Behandlung zu nutzen. Seine Verteidiger hätten diese Aufgabe nicht erfüllen können.
„Sie können innerhalb einer Woche Revision einlegen.“ belehrt der Richter noch den Angeklagten.
[Der Angeklagte hat Revision eingelegt!]
Der Haftbefehl bleibt aufrecht und in Vollzug.
„Ich hoffe, dass Sie einen Abschluss finden können.“ wendet sich der Richter an die Opfer.
Disclaimer
Trotz sorgfältiger Recherche lassen sich Fehler nicht zu 100% ausschließen. Bitte senden Sie ggf. eine E-Mail an hdt@gluon.press, so dass wir eine Korrektur vornehmen können. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Ermittlungsverfahren die Unschuldsvermutung gilt. Dessen Einleitung bedeutet nicht, dass der strafrechtliche Vorwurf tatsächlich zutrifft.
Quelle
Der Autor im Gerichtssaal.




