Am Freitag, den 23. August 2024, gegen 21:30 Uhr starben drei Menschen bei dem Messerangriff auf einem Stadtfest mit dem Motto: „Fest der Vielfalt“ in Solingen. Zehn weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Der geständige Angeklagte Issa Al H. muss sich dafür vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht verantworten.
Am 11. Prozesstag wird ein 57-jähriger Islamwissenschaftler als Sachverständiger gehört. Es gehe um Detailfragen nicht darum, was der IS sei. Der Senat habe dazu bereits Feststellungen getroffen. Der Richter referiert allgemein zum IS und wird dabei in kleineren Punkten vom Sachverständigen korrigiert.
Die Anschlagstypen
Der Sachverständige beschreibt dann drei Arten von Anschlägen, die vom IS durchgeführt werden bzw. wurden. Das seien organisierte Attentate, inspirierte Anschläge und angeleitete Anschläge.
Organisierte Attentate
Organisierte Attentate seien in Syrien geplant worden. Die Attentäter seien in Afghanistan ausgebildet worden und über Land aus Syrien ausgereist. Die Sicherheitsbehörden hätten sich aber darauf eingestellt und die Grenzen seien seit 2016 nicht mehr offen, daher gäbe es diese Art von Anschlägen wohl nicht mehr, obwohl der IS weiter darüber nachdenken würde. Der große Vorteil solcher Anschläge sei, dass sie sehr opferreich seien. Der Nachteil, dass man reisen und kommunizieren müsse.
Inspirierte Anschläge
Für inspirierte Anschläge brauche es keinen Kontakt zur Organisation. Daher sei es nicht möglich Täter vor der Tat zu identifizieren. Der Nachteil sei, dass sie mit 0,7 Todesopfern pro Anschlag vergleichsweise erfolglos seien.
Angeleitete Anschläge
Die angeleiteten Anschläge seien die wichtigste Innovation. Der Kontakt erfolge nur über soziale Medien (Twitter, Telegram). Der direkte Kontakt mit dem IS käme dann plötzlich zu Stande. Dann werde besprochen, was der Rekrut für den IS tun kann. Vorher werde nur [vom IS] „gesendet“. Der Rekrut werde dann bei der Auswahl der Tatmittel beraten und es gäbe konkrete Anweisungen. Es solle ein Video mit dem Treueeid und ein Bekennervideo aufgenommen werden. Das Bekennervideo solle an die Medienstelle des IS (Amaq) gesendet werden. Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, habe so ein Bekennervideo bereits 2 Monate vor der Tat gedreht und bei sich gehabt. Typischerweise sei die Zeit zwischen Bekennervideo und Tat kürzer. Der IS wisse genau welche Strafen da drohen.
Es werden noch viele Details geklärt und Bilder und Videos des Angeklagten in Augenschein genommen.
„Lies was auf den Bildern geschrieben steht!“
Es wird auch wohl schon ein Chat, der auf dem zweiten Handy [Samsung S23] des Angeklagten gefunden wurde, betrachtet. Dieses Handy wurde erst kürzlich durch die Hinweise des Angeklagten entdeckt und ist bereits teilweise ausgewertet.
Im Einzelnen geht es um zwei beschriftete Bilder, die der Angeklagte einem Kontaktmann mit dem Kampfnamen „Abu Faruk al-Jihadi“ zugeschickt haben soll. Eine kleine Diskussion entfacht sich zwischen Übersetzer und dem Sachverständigen ob der Angeklagte auf den Bildern geschrieben hat „Ich bin Anhänger des IS und ich werde eine Operation begehen.“ oder „Ich bin Unterstützer des IS und ich werde eine Operation begehen.“. Es geht dabei wohl um die Verwendung speziellen IS-Vokabulars und um die Frage ob der Angeklagte da schon einen Treueeid geleistet hat. [Das IS-Vokabular kann man vermutlich in der arabischen Sprache sicherer erkennen als in der deutschen Übersetzung.]
„Lies was auf den Bildern geschrieben steht!“ heißt es in der Chatzeile zu den Bildern erklärt der Sachverständige. [Das war ohne Kontext wohl nicht einfach zu übersetzen.] Diese Unklarheit versucht plötzlich auch der Angeklagte aufzulösen. Er erklärt, dass er auf das Bild geschrieben habe, weil über das Keyboard die Texte direkt an den Mossad und den Geheimdienst, gingen. Anhänger sei ein Glühender für die Sache, der mit allen Mitteln dafür eintritt.
Der Verteidiger erklärt eilig, dass der Angeklagte weitere Erklärungen in Zukunft abgeben werde. Er könne seinem Mandanten nur raten jetzt keine weiteren Erklärungen abzugeben.
Nur fromme Sprüche?
Zu dem Spruch, den der Angeklagte in der Asylunterkunft an der Wand hängen hatte, erklärt der Sachverständige, dass man nur erkennen könne, dass der Verfasser nicht gut schreiben könne und wenig Schulbildung habe. Für sich genommen seien das nur fromme Sprüche, die sich jeder an die Wand hängen könne.
Zwangsrekrutierungen?
Die Verteidigung stellt dem Sachverständigen noch einige Fragen, eine in Bezug auf Zwangsrekrutierungen von denen Zeugen berichtet hätten. „Meines Wissens hat der IS nicht zwangsrekrutiert.“ erklärt der Sachverständige. Er habe nie glaubhaftes dazu gehört.
Die Schlacht von Baghuz
Dann spielt der Verteidiger noch auf die Schlacht von Baghuz an. Er spricht von Rache für Baghuz bzw. Rache für die dort getöteten IS-Kämpfer und Rache für Zivilisten in Baghuz. Er nimmt Bezug zu einem Spiegel Artikel zu dem Thema und einen Wikipedia Artikel über die Schlacht von Baghuz. Auf die Frage des Verteidigers, ob er in dem Zusammenhang von Kriegsverbrechen gehört habe, entgegnet der Sachverständige, dass er die Vorwürfe gegen die Amerikaner kenne. Als der Verteidiger auf ein Kliff zu sprechen kommt, oben hätten die Amerikaner gestanden unten der IS, grätscht der Vertreter des Generalbundesanwalts dazwischen „Ich beanstande das! Oder möchten Sie was loswerden?“. Der Verteidiger spricht wieder von Rache für erschossene IS-Kämpfer, da setzt der Vertreter des Generalbundesanwalts nach „Der Verteidiger ist dabei einen Wikipedia Artikel vorzulesen!“.
Damit wird die Vernehmung des Sachverständigen beendet und der Prozess macht eine Pause bis zum 11. August.2025.
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Quelle
Der Autor im Gerichtssaal.




