Die Anreise
Heute besuchen wir auf unserer Antwerpen Tour das Geisterdorf Doel. Doel war bis Ende 1960 ein Industriedorf in Belgien mit etwa 1300 Einwohnern. Das Dorf ist eines von acht Ortsteilen, die zur Gemeinde Beveren in der Provinz Ost Flandern gehören, welche allesamt 1977 eingemeindet wurden.
Unser Navi lotst uns perfekt durch das Antwerpener Hafengebiet. Auf den Schildern stehen meist nur die Nummern der Terminals, Container und Verladekräne. LKWs sind am Pfingstsonntag glücklicherweise nicht unterwegs. Allerdings ist die Zufahrtsstraße zum Dorf Doel, wie wohl immer an Wochenenden oder besonderen Feiertagen, gesperrt. Zugang gibt es nur für Menschen mit einem belgischen Personalausweis. Dieser kann einen in die Zufahrtstrasse eingelassenen Poller dazu bewegen automatisch in den Boden zu versinken.
Wir haben die Scheldemolen als Ziel ins Navi eingegeben. So werden wir weit um das Dorf herumgeführt und landen direkt beim Atomkraftwerk Doel mit seinen vier Reaktoren. Es wurde in den Jahren von 1969 bis 1985 direkt neben Doel errichtet.
Den Zugang zum Dorf verhindert hier eine Schranke. Die Parkplätze sind rar und liegen halb in der Botanik. Da hier bereits Fahrzeuge abgestellt sind, gesellen wir uns einfach dazu, direkt gegenüber einer Einfahrt zum Atomkraftwerk, die freizuhalten ist. Am Atomkraftwerk gibt es Hinweisschilder, die uns bedeuten, dass das Fotografieren desselben nicht gewünscht ist. Seit dem 28.01.2022 ist es in Belgien bei empfindlichen Strafen verboten Atomkraftwerke zu fotografieren.
Die Erkundung
Von hier aus geht es hinter der Schranke auf den Deich mit Blick auf die Schelde, die Scheldemolen und die ersten Häuser Doels.
Wie wir später sehen werden, ist das hier ein sehr guter Platz für das Ship Spotting, denn all die großen Containerschiffe müssen hier vorbei. Wir gehen auf dem Deich weiter an der Mühle vorbei bis zum 2005 eingeweihten Deurganckdok, das weltweit größte Gezeitendock. Das ist die Quelle oder das Ziel der Container-Riesen. Hier liegt zu diesem Zeitpunkt das größte Containerschiff der Welt die MSC Loreto.
Für die Erweiterung des Hafens sollte Doel vollständig abgerissen werden und neuen Terminals weichen. Schon 1960 wurden erste Pläne geschmiedet den Hafen von Antwerpen Richtung Niederlande auszubauen. Ende 1970 gab es erste Enteignungen von Grundstücken. Damit entbrannte auch eine harte Auseinandersetzung zwischen den Einwohnern Doels und der Regierung. Es folgte eine lange Pause, in der wenig geschah.
In den neunziger Jahren wurde der Hafen erweitert und die Bewohner bekamen weitere Angebote zum Verkauf ihrer Häuser. Damit leerte sich das gesamte Dorf, bis auf ungefähr 100 Bewohner, die sich weigerten zu gehen. Die Aktionsgruppe „Doel 2000“ wurde gegründet und diese klagte bis zum europäischen Gerichtshof.
Heute leben noch etwa 20 Menschen in dem Dorf Doel, das im Laufe der Zeit zu einer Geisterstadt mutierte. Oft schon sollten auch die letzten Bewohner umgesiedelt oder zwangsenteignet werden. Dies scheiterte jedoch daran, dass die Bedarfserweiterung des Hafens umstritten blieb und die Verbliebenen sich beharrlich weigerten, ihre Heimat zu verlassen.
Eingezwängt zwischen Industriehafen und den beiden 170 Meter hohen Kühltürmen des AKW, verlaufen wie ein Schachbrett die geraden, vor 400 Jahren angelegten Straßen des Dorfes, drei längs zum Deich, vier quer.
Wir machen einen Rundgang durchs Dorf und halten unsere Eindrücke fotografisch fest. Fast alle Fenster und Türen sind durch Metallplatten gesichert. Es gibt nur wenige Häuser die deutlich als noch bewohnt gekennzeichnet sind. Doel ist eine lebhafte Geisterstadt, die wohl eine große Anziehungskraft besitzt.
Graffiti-Künstler von internationalem Renommee haben sich in Doel verewigt und in der Tat sind die Graffitis hier im Gegensatz zu anderen Lost Places, die wir schon besucht haben, eine Klasse für sich.
Das Doel 5
Das Doel 5 hat geöffnet. Und bei dem schönen Wetter ist es vor allem von Bikern gut besucht. Daher verzichten wir hier auf Fotos.
Das historische Schiff Ortelius
Das historische Schiff Ortelius wurde am Freitagabend, dem 19. November 2021, von einem Trockendock in Antwerpen ins Zentrum von Doel transportiert. Eine spektakuläre Operation, die über vier Stunden dauerte.
Das Schulschiff Ortelius stammt aus dem Jahr 1898 und war ursprünglich ein Segelfrachter. Ende des 20. Jahrhunderts diente es als Schulschiff für Grundschulkinder in Antwerpen. Mittlerweile ist das Schiff seit rund 20 Jahren außer Dienst. Es wurde an die gemeinnützige Organisation „De Maakschappij“ in Doel verkauft. Sie engagieren sich dafür das Segelerbe wiederherzustellen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Onze-Lieve-Vrouw-Hemelvaartkerk
Die Kirche wurde zwischen 1851 und 1854 nach einem Entwurf von Lodewijk Roelandt, dem Stadtarchitekten von Gent, erbaut. Die Kirche liegt am Rande des Dorfkerns und ist vom Friedhof umgeben. Heute ist noch ein Teil des ursprünglichen Gusseisenzauns aus dem Jahr 1857 zu sehen.
Auf dem Friedhof hängen an den Grabsteinen öffentliche Bekanntmachungen aus.
Het Hooghuis
Mit der Restaurierung des „Hooghuis“ aus dem 17. Jahrhundert soll eine ganze Reihe von Finanzierungen die Wiederbelebung von Doel fördern. Das betrifft sowohl das architektonische Kulturerbe als auch die umliegende Polderlandschaft. So steht auch die Restaurierung des landwirtschaftlichen Anwesens „Hof ter Walle“ und die „Scheldemolen“ an. Zudem sollen bis zu 15 Wohnhäuser wieder bewohnbar gemacht werden.
Das „Hooghuis“ ist inzwischen in den Besitz der flämischen Stiftung für Kulturerbe übergegangen und diese finanziert die Restaurierung und die spätere Nutzungsbestimmung mit 1,5 Mio. €. Die Restauration übernimmt die Stiftung „Herita“, die sich in Flandern um den Unterhalt geschützter Gebäude, Räumlichkeiten und Kunstwerke kümmert.
Das Gebäude weist eine barocke Türumrandung aus Blaustein auf und im Inneren ist ein ebenfalls barocker Kamin aus Marmor zu finden, der mit Delfter Kacheln verziert ist. Zudem ist überall eine Decke aus Eichenbalken vorhanden. Leider ist das Gebäude in einem denkbar schlechten Zustand und völlig zugewachsen.
De Scheldemolen
Die Scheldemolen ist eine runde Steinmühle aus dem Jahr 1614. Sie steht nicht oben auf dem Deich, sondern im Deich, der Doel vor dem Wasser der Schelde schützt. Die Scheldemolen war bis 1927 in Betrieb. Danach hatte sie verschiedene Funktionen und beherbergt seit 2010 ein Restaurant. Durch den damit einhergehenden Erweiterungsbau ist die Mühle nicht mehr betriebsfähig und wurde nur äußerlich restauriert.
Die Zukunft
60 Jahre haben sie gegen die Erweiterung des Antwerpener Hafens gekämpft. Im Jahr 2022 scheint sich der Widerstand der letzten Bewohner von Doel am Ende auszuzahlen. Die flämische Regierung beschloss, dass Doel fortbestehen soll. Doel soll wieder zum Leben erweckt werden. 20 Häuser sollen wieder bewohnbar gemacht werden. Arbeitsgruppen wurden eingerichtet, die bei den Plänen mitentscheiden dürfen. 200 ha landwirtschaftliche Fläche sollen erhalten bleiben, weitere 665 ha landwirtschaftliche Fläche sollen in Natur umgewandelt werden. Der Ausbau des Hafens soll hafenintern erfolgen.